Der Untergang
fühlen.
Es sind schlimme Zeiten. Eine Frau sollte nicht ohne Begleitung in eine fremde Stadt gehen.«
Wiewohl diese Stadt ganz gewiss keine Gefahren birgt, dachte Andrej. Die wenigen Menschen, denen sie
begegnet waren, hatten kaum Notiz von ihnen genommen.
Der Wirt brachte das bestellte Bier, und Elena bezahlte die Zeche sofort; einschließlich des Bechers, den
der Bäckermeister getrunken hatte. Andrej ertappte sich dabei, wie er nicht nur jede ihrer Bewegungen
verfolgte, sondern sie regelrecht zu genießen begann. Die schwarzhaarige Zigeunerin hatte etwas an sich,
das jede Geste, jede Alltäglichkeit zu etwas wie einem kleinen Tanz machte.
Während der Fahrt in die Stadt und auch danach, hatte er hinlänglich Gelegenheit gehabt, sie zu
betrachten und seinen Eindruck vom Morgen zu bestätigen: Sie war eine wirkliche Schönheit. Ihr Gesicht
schien auf sonderbare Weise zeitlos zu sein. Sie besaß das Antlitz eines Mädchens und das einer reifen
Frau zugleich und war von zarter, anmutiger Gestalt.
Dennoch konnte er sich nicht vorstellen, sie zu berühren oder ihr näher zu kommen als für einen
freundschaftlichen Wangenkuss. Er mochte sie. Er mochte sie sogar sehr. Es war sonderbar. Verwirrend,
aber auch beängstigend.
»Hast du mich jetzt lange genug angestarrt?«
Das hatte er in der Tat getan, aber aus anderen Gründen, als Elena vermutlich annahm. Doch ihre Frage
schien nicht den Zweck gehabt zu haben, ihn in Verlegenheit zu bringen. »Ich werde nicht schlau aus dir,
Elena«, sagte er offen.
»Sieh einfach weiter zu, und irgendwann wirst du es lernen.«
»Das meine ich nicht«, antwortete Andrej, »heute Morgen, als ich dich das erste Mal gesehen habe, da
habe ich dich für Laurus’ Weib gehalten.«
Elena nickte.
»Später hat mir Rason dann erzählt, du wärst seine Schwester.«
»Und?« In Elenas Augen blitzte es amüsiert auf.
»Und gerade hast du behauptet, Laurus wäre dein Mann, und er würde dich schlagen, wenn du zu viel
Geld ausgibst«, fuhr Andrej fort. »Was ist denn nun die Wahrheit?«
»Nun, was glaubst du denn?«, fragte Elena amüsiert. »Ist dir noch nie der Gedanke gekommen, dass
beides stimmen könnte?«
»Beides?« Andrej riss die Augen auf.
»Jetzt sieh mich nicht so entrüstet an«, sagte Elena lachend. »Ich habe nie behauptet, dass Laurus der
Vater der Jungen ist und ich ihre Mutter, oder?«
»Nein«, gestand Andrej betroffen.
»Entschuldige.«
»Und jetzt hör endlich auf, dich andauernd zu entschuldigen«, fiel ihm Elena ins Wort. »Geh nach
draußen, und sieh nach, ob die Ladung gut verstaut ist. Ich komme gleich nach.«
Hastig erhob sich Andrej. Das Gespräch hatte einen für ihn peinlichen Verlauf genommen, und er hatte
das Gefühl, rote Ohren bekommen zu haben. Fast floh er aus dem Gasthaus und ging zum Wagen, den sie
direkt davor abgestellt hatten. Er hatte das für ziemlich leichtsinnig gehalten und Elena gegenüber auch
keinen Hehl aus seiner Einstellung gemacht.
Diebe waren zwar nicht gekommen, aber der Wagen stand auch nicht mehr ganz so einsam, wie sie ihn
zurückgelassen hatten:
Zwei hoch gewachsene junge Burschen mit dunklem Haar machten sich am hinteren Teil der Ladefläche
zu schaffen. Neben ihnen stand ein dritter, älterer Mann. Er kam Andrej irgendwie bekannt vor.
»Kann ich den Herren helfen?«, fragte er laut.
Erschrocken fuhren das Trio herum. Andrej maß sie mit einem kurzen, prüfenden Blick, während er
langsam auf sie zu schlenderte. Er glaubte nicht, dass die drei Diebe waren - und wenn, dann entweder
ziemlich ungeschickte oder Anfänger.
Dennoch legte er vorsichtshalber die linke Hand auf den Schwertgriff, als er sich ihnen näherte.
»Wer …« Der Ältere neigte den Kopf und sah Andrej stirnrunzelnd an. Dann nickte er. »Ach ja, du bist
der Kerl, der das Zigeunerweib begleitet.«
»Und Ihr seid der Krämer.« Andrej sprach die Worte im gleichen Moment aus, in dem er sich erinnerte.
Dieser Mann war der erste Händler gewesen, den sie an diesem Morgen aufgesucht hatten. Die beiden
anderen kannte er nicht, aber ihrem Aussehen nach mochten sie seine Söhne sein.
»Ich begleite Elena, das ist richtig.« Andrej nahm die Hand vom Schwert und entspannte sich. Die drei
waren harmlos. »Was kann ich für Euch tun?«
Erneut sah der Mann ihn an. Offenbar wusste er nicht, was er von Andrej zu halten hatte. Als er
antwortete, war er offensichtlich darum bemüht, bestimmt zu klingen, aber Andrej hörte den Trotz aus
seiner Stimme heraus.
»Ich muss mit deiner Begleitung
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