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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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das Räuspern eines schlafenden Riesen, der Kraft für den nächsten Morgen sammelte,
klang.
Und er hörte noch mehr: Ein Rascheln und Flüstern, das Wispern des Windes in den Baumwipfeln, die
Geräusche winziger Tiere, die Unterschlupf für die Nacht suchten oder gerade erst erwacht waren und
sich auf die Jagd begaben …
Aber da war noch etwas anderes, und es war verwirrend: Er spürte, dass etwas da war, etwas, das nicht
hierher gehörte, und ihn über die Maßen beunruhigte, aber er konnte nicht sagen was. Und er hatte sich
allem Anschein nach nicht annähernd so gut in der Gewalt, wie er glaubte, denn als sie sich der dunkel
daliegenden Mühle näherten und dabei unweigerlich langsamer wurden, drehte sich Elena plötzlich im
Sattel herum und brach zum ersten Mal, seit sie das Sinti-Lager verlassen hatten, ihr Schweigen.
»Was hast du, Andreas?«
Andrej wusste im ersten Moment nicht, was ihn mehr überraschte - dass Elena mit ihm sprach, oder dass
sie offensichtlich seine innere Unruhe spürte. Wie um Zeit zu gewinnen, hob er die Schultern und ließ den
Blick seiner misstrauisch zusammengepressten Augen noch einmal aufmerksam über den dunkel
daliegenden Waldrand rechts und links schweifen. Er spürte das Leben, das sich in den Schatten der
Nacht verbarg, aber ihm war zugleich auch, als wehe ein unheimlicher, körperlos eisiger Hauch aus diesen
Mauern aus Dunkelheit und ineinander verflochtenem Grün und Braun. »Nichts«, sagte er schließlich.
»Ich dachte, ich hätte etwas gehört. Aber vielleicht hab ich mich getäuscht.«
»Soll ich jetzt beeindruckt sein, dass du das zugibst, oder beunruhigt?«, stichelte Elena.
Andrej bedachte sie mit einem verärgerten Blick, zog es darüber hinaus aber vor, zu schweigen. Auch
ohne das, was Bason gesagt hatte, war ihm klar, dass er Elena am Vormittag mehr als nur ein wenig
verstimmt hatte. Aber er glaubte, unter ihrer typisch weiblichen Stichelei noch etwas anderes zu spüren,
etwas, das ihn verwirrte. War es Feindseligkeit?
Wenn ja, so verstand er nicht warum. Gut, er hatte einen Fehler gemacht, aber so schlimm war das alles
nun auch wieder nicht.
»Heb’ dir dein Misstrauen auf, bis wir mit diesem Klotzkopf von Müller gesprochen haben … wie war noch
sein Name?«
»Handmann.«
»Handmann«, nickte Elena. »Und bevor wir sein gastliches Haus betreten, Andreas: Überlass’ mir das
Reden. Tu dir selbst und mir einen Gefallen und sag nichts.«
»Es sei denn, du stellst mir eine Frage, oder gibst mir einen Befehl?«, erkundigte sich Andrej.
»Genau.«
Er wusste nicht, ob Elena die Ironie seiner Worte tatsächlich nicht verstanden hatte, oder ob sie es einfach
vorzog, sie zu ignorieren. Er konnte auch nicht sagen, was ihn mehr geärgert hätte.
Hinter einem der Fenster erschien das flackernde Eicht einer Kerze, gerade als sie Halt machten und
abstiegen. Wer immer dort drinnen war, musste über ein fast ebenso scharfes Gehör verfügen wie Andrej oder sie erwartet haben.
Er warf Elena einen mahnenden Blick zu und bedeutete ihr, zurück zu bleiben, und er war nicht
überrascht, als sie darauf nur mit einem spöttischen Blick reagierte und ihren Schritt sogar beschleunigte,
um die Mühle vor ihm zu erreichen.
Die Tür wurde geöffnet, und eine hochgewachsene Gestalt erschien im Rahmen. Andrej blieb
unwillkürlich stehen und musste sich beherrschen, um nicht zu grinsen, als er den Müller sah. Handmann
war fast einen Kopf größer als er selbst, dabei aber so dürr, dass man Angst haben musste, er könne bei
der ersten unvorsichtigen Bewegung einfach in der Mitte durchbrechen wie ein trockener Zweig. Der
Mann trug ein bis auf die Köchel reichendes Nachthemd, das schon bessere Tage gesehen hatte, und dazu
eine Schlafmütze, deren Zipfel ihm bis auf die Schulter hing. Den rechten Arm, der einen Kerzenständer
aus Zinn hielt, hatte er in Kopfhöhe vor sich ausgestreckt. Alles in allem bot er einen absolut lächerlichen
Anblick - oder hätte ihn geboten, wäre da nicht der Blick aus seinen dunklen, von schweren Tränensäcken
verunzierten Augen gewesen. Er sah Andrej nur kurz an, dann fixierte er Elena, und aus dem Misstrauen
in seiner Miene wurde offene Feindseligkeit. »Ihr kommt eher, als ich dachte«, sagte er.
Wenn es etwas gibt, das noch grotesker ist als sein Aussehen, dachte Andrej, dann ist es seine Stimme.
Tatsächlich war sie so dunkel und voll tönend wie die eines Mannes, der mindestens das Dreifache seiner
Körpermasse auf die Waage brachte.
»Ihr habt uns

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