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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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war kaum eine
Minute an diesem Tag vergangen, in der er nicht auf die eine oder andere Weise an sie gedacht hatte, und
die meisten dieser Gedanken waren von einer Art gewesen, die ihm beinahe unangenehm war. Und die ihn
ziemlich verwirrte. Andrej hatte keineswegs gelogen, als er Abu Dun - und auch sich selbst - gegenüber
behauptet hatte, Elena interessiere ihn nicht als Frau. Schon der Umstand, dass sie einem anderen gehörte
- und dass dieser andere zudem das Oberhaupt der Sinti-Familie war - verbot es von selbst, in ihr irgend
etwas anderes zu sehen, als eben genau das: Die Frau eines anderen. Und was er am Morgen mit ihr erlebt
hatte, war auch nicht unbedingt das, was er sich normalerweise von einem Weibsbild hätte gefallen lassen.
Und dennoch: Die dunkelhaarige Zigeunerin ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.
Als er später am Nachmittag ihre Stimme vernahm und sich zu ihr umdrehte, da versetzte es ihm einen
kurzen, aber tief gehenden Stich, sie an Laurus’ Seite zu sehen; ein Gefühl, für das er sich einen Moment
lang so schämte, als stände es ihm ins Gesicht geschrieben.
Und möglicherweise war dem auch so, denn Laurus sagte zwar kein Wort, und auch seine Miene änderte
sich nicht, aber irgend etwas in seinem Blick tat es. Andrej rief sich in Gedanken zur Ordnung, sah sich
zugleich aber auch in seiner Meinung bestätigt, vor diesem Mann besser auf der Hut zu sein.
»Andreas!« Elena lächelte ihn so freundlich an, als wäre am Morgen nichts geschehen. Rason hatte
behauptet, sie hätte sich über seine Einmischung geärgert, aber wenn das so war, dann hatte sie diesen
Ärger offenbar wieder vergessen. »Wie ich sehe, hast du dich ja bereits gut eingearbeitet. Dein Talent als
Handwerker scheint größer zu sein als das als Kaufmann.«
Da er nichts zu sagen wusste, reagierte Andrej nur mit einem Schulterzucken und einem verlegenen
Lächeln. In Elenas Augen erschien ein spöttisches Glitzern, und er begriff, dass sie ihn herausfordern
wollte, nur nicht, wozu.
Doch noch bevor er möglicherweise einen Fehler begehen und eine unangemessene Frage stellen konnte,
mischte sich Laurus ein.
»Ich habe gehört, dass du heute mit Anka reden wolltest?«
Andrej nickte. »Ja.«
»Worüber?«
Diesmal antwortete Andrej nicht gleich. Er sah Laurus prüfend an, hütete sich jedoch, in diesen Blick
irgend etwas zu legen, dass einer Herausforderung auch nur nahe kam, und überlegte sich jedes Wort
seiner Antwort sehr gründlich. »Sie ist eine sehr interessante alte Frau, wie ich finde. Sie weiß eine
Menge.«
»Und du willst eine Menge wissen.«
»Es gibt da etwas, das nur sie mir beantworten kann«, erwiderte Andrej.
»Was?«
»Es hat nichts mit Euch zu tun«, sagte Andrej. »Nur mit einem Mädchen, das ich einmal kannte. Ich bin
ein bisschen überrascht. Hat Euer Sohn Euch nichts erzählt?«
»Alessa, ja.« Laurus deutete ein Nicken an. Sein Gesicht war noch immer ausdruckslos, aber in seinem
Blick schien nun etwas Lauerndes zu liegen. Andrej wusste nicht zu sagen, ob es sich dabei um reine
Neugier handelte, oder aber um etwas, vor dem er sich besser in Acht nahm. »Was Anka dir erzählt hat,
ist die Wahrheit«, fuhr Laurus fort. »Wir kannten sie kaum.
Und dasselbe gilt für ihre Familie. Du hast dieses Mädchen geliebt?«
»Ich kannte sie ebenfalls kaum, aber ich -«
»Das eine schließt das andere nicht aus«, fiel ihm Elena ins Wort, noch immer lächelnd, aber jetzt mit
einem Funkeln im Blick, das ihn irritierte. »Du hättest mich fragen sollen.«
»Dich?«, fragte Andrej überrascht.
»Ich habe mich damals um das Mädchen gekümmert«, erwiderte Elena. »Und auch um seine Familie.
Wenn du jemandem die Schuld für ihren Tod geben willst, dann mir.«
»Schuld?« Andrej war völlig verwirrt. »Das ist nicht das, was ich wissen wollte.«
»Nun, was immer es ist, du wirst dich gedulden müssen«, sagte Laurus. »Anka wird deine Fragen
beantworten, und Elena ebenfalls. Aber nicht jetzt. Wir haben wichtigeres zu tun. Und Anka ist sehr alt
und schwach. Ihre Tage sind gezählt. Wenn du mit ihr reden willst, komm zu mir, und ich werde sehen,
was ich für dich tun kann.«
Vielleicht war es ein Glück, dass Andrej keine Gelegenheit erhielt, über diese sonderbare Antwort
nachzudenken, oder gar auf sie zu reagieren. Denn aus dem rückwärtigen Teil des Lagers näherte sich
Bason, heftig mit den Armen wedelnd und in so scharfem Tempo, dass es schon fast einem Rennen
gleichkam. Einige der Männer unterbrachen ihre Arbeiten, und auch

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