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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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übrigens auch die Frau eines Bauern.« Plötzlich grinste er. »Aber er war
kein guter Mann. Er hat sie oft geschlagen.«
Andrej blieb Ernst. »War es die gleiche Familie?«
»Nein, und es ist lange her.« Nun sah Flock Andrej wieder an. »Ihr seid noch nicht lange bei diesen
Leuten?«
»Das stimmt«, sagte Andrej. »Ich gehöre nicht zu ihnen, wenn es das ist, was Ihr wissen wollt. Mein
Freund und ich haben uns nur für eine Weile zu ihnen gesellt.«
»Aber Ihr setzt Euch für sie ein?«
Andrej hob die Schultern. »In dieser Hinsicht geht es mir wie Euch«, sagte er. »Ich beurteile Menschen
nach dem, was sie tun und sind, nicht nach dem, was sie zu sein scheinen.«
»Dann wird Euer Urteil über Bruder Handmann nicht sonderlich gut ausfallen, fürchte ich.« Flock zwang
sich zu einem Lächeln und straffte die Schultern. »Im Moment würde jedes weitere Wort die Situation nur
noch verschärfen.
Aber ich verspreche Euch, dass ich gleich morgen noch einmal mit ihm rede. Und wenn das nichts nützt,
so gibt es noch eine andere Mühle, einen halben Tagesritt von hier. Ich werde jemanden dorthin schicken,
der Euch alles besorgt, was Ihr braucht. Doch jetzt solltet Ihr Euch um Eure Begleiterin kümmern. Es ist
nicht gut, wenn eine Frau nachts allein unterwegs ist.«
»Elena kann bestens auf sich selbst aufpassen«, sagte Andrej, aber Flock schüttelte den Kopf.
»Die Wälder hier sind sehr dicht und nicht ungefährlich. So mancher hat sich schon verirrt, und das Moor
ist nicht weit.
Ein Fremder, der dort hineingerät, ist verloren.«
Flock wollte ihn loswerden, das war klar. Vermutlich, dachte Andrej, um noch einmal allein mit dem
störrischen Müller zu reden. Und ihm war es im Grunde Recht. Er fühlte sich in der Nähe des jungen
Geistlichen unwohl, vielleicht, weil dieser so ganz anders war, als er erwartet hatte. Und natürlich waren
Flocks Bedenken nicht völlig aus der Luft gegriffen.
Aber so, wie Andrej Elena einschätzte, konnte sie tatsächlich gut auf sich selbst aufpassen. Ganz im
Gegenteil sollte sich eher derjenige, der dachte, er habe des Nachts leichtes Spiel mit dieser wehrlosen
Frau, Sorgen um seine eigene Gesundheit machen. Dennoch war es besser, seinem Rat zu folgen.
»Habt Dank für Eure Mühe«, sagte er.
»Viel hat es ja nicht genutzt, fürchte ich«, erwiderte Flock.
»Aber ich werde sehen, was ich für Euch tun kann. So oder so ich werde morgen oder spätestens
übermorgen ins Lager kommen, um mit Euren Leuten zu reden. Und nun geht und sucht Eure Freundin,
bevor am Ende noch wirklich ein Unglück geschieht.« Er hatte fest geglaubt, Elena binnen weniger
Augenblicke einzuholen, oder ihre Gestalt zumindest zu sichten, doch er hatte sich geirrt.
Innerlich aufgewühlt und verwirrt wie schon lange nicht mehr, war Andrej eine Weile ziellos in die
Richtung gelaufen, in die auch Elena verschwunden war, bevor er einsah, dass er vermutlich auf dem
besten Weg war, genau das zu tun, wovor Flock ihn gewarnt hatte: nämlich, sich zu verirren. Einmal zu
dieser Erkenntnis gelangt - insbesondere angesichts der Peinlichkeit, sollte Abu Dun von einem solchen
Missgeschick erfahren -, war es nur noch ein kurzer Schritt dahin, stehen zu bleiben und nachzudenken.
Nicht, dass es besonders viel zu sehen gegeben hätte. Er hatte sich vielleicht hundert oder hundertzwanzig
Schritte von der Mühle entfernt, und auch, wenn die Nacht viel zu dunkel war, um das Gebäude noch als
Schatten erkennen zu können, konnte er dessen Nähe nach wie vor spüren, wie er noch immer das leise
Knarren der uralten Holzkonstruktion und das Geräusch der Segeltuchbespannung hörte; dazu das
Wispern und Raunen des Waldes, das Geräusch der Blätter, Flügelschlagen und die hastigen Schritte
winziger, krallenbewehrter Füßchen. Der Wald, der ihn umgab, war wie ein großes, atmendes Wesen
voller Leben und unsichtbarer Augen, die ihn aufmerksam aus der Dunkelheit heraus anstarrten.
Was er indes nicht spürte, war Elena.
Und das war seltsam. Er war stets in der Lage gewesen, die Nähe eines Wesens seiner Art auch auf große
Entfernung hin zu spüren. Über diese Fähigkeit verfügte er auch, wenn es um ganz normale Menschen
ging, allerdings funktionierte diese Wahrnehmung dann nicht auf ganz so große Distanz, und auch nur,
wenn er sich konzentrierte. Es war nicht die Art des Lebens, die er fühlte, sondern das Leben selbst.
Doch jetzt und hier war er allein.
Er ging weiter, und allmählich begann nun doch eine leise, aber nagende Sorge von ihm

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