Der Untergang
aus, sondern ertappt.
Andrej überwand die restliche Entfernung zu ihr mit schnellen Schritten und blieb gerade nahe genug vor
ihr stehen, um sie leicht nervös zu machen. »Du hast mit jemandem gesprochen«, sagte er. »Und ich habe
jemanden gesehen.«
Wenn Elena schauspielerte, dann perfekt. Wäre er nicht vollkommen sicher gewesen, Stimmen gehört und
die Umrisse von mindestens zwei weiteren Personen gesehen zu haben, hätte ihn der verständnislose
Ausdruck in ihrem Gesicht vielleicht überzeugt. So hingegen machte er ihn nur wütend.
»Aber hier ist niemand«, erwiderte sie nervös lächelnd und machte eine ausholende Geste. »Oder siehst
du jemanden?«
»Jetzt nicht mehr.« Andrejs Stimme zitterte leicht. Er spürte, dass irgend etwas … da war. Aber er
vermochte nicht zu sagen, was.
Elena sah ihn immer noch verwirrt an, dann machte sich ein Ausdruck plötzlichen Begreifens auf ihrem
Gesicht breit. »Oh, das!«, rief sie.
»Ja, das«, sagte Andrej. »Hör auf, mich für dumm zu verkaufen. Ich habe ganz deutlich Stimmen gehört.«
»Eine Stimme«, verbesserte ihn Elena. »Meine.«
»Und mit wem hast du geredet?«
Für einen kurzen Moment gefror Elenas Lächeln, dann hatte sie sich wieder in der Gewalt. »Mit
niemandem.« Sie schüttelte den Kopf. »Verzeih, Andreas, ich … es ist meine Schuld.«
»Du hast also mit niemandem geredet«, sagte Andrej spöttisch.
»Oder vielleicht mit dem Wald und den Bäumen?«
»Auch«, sagte Elena.
»Wie bitte?«
»Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, Andreas«, antwortete Elena. Sie wich einen Schritt vor ihm
zurück und schien nach Worten zu suchen. »Du kannst es nicht wissen, aber manchmal… tue ich das
wirklich.«
»Was? Dich mit Bäumen unterhalten?«
Elena hob die Schultern. Plötzlich sah sie ein bisschen aus wie ein kleines Kind, das bei etwas Verbotenem
erwischt worden war.
»Mit der Nacht, mit der Natur … mit mir selbst.« Sie neigte ein wenig den Kopf. »Manchmal tut es gut,
auszusprechen, was einem auf der Seele liegt. Es gibt nicht viele, mit denen ich reden kann, weißt du?«
»Lüg mich nicht an«, sagte Andrej ärgerlich, aber der Zorn in seiner Stimme klang nicht halb so
überzeugend wie er sollte.
Elenas Erklärung, so unglaubwürdig sie klang, verwirrte ihn.
Kurz maß er sie mit durchdringenden Blicken, dann starrte er angestrengt in die Richtung, in der die
beiden Schemen verschwunden waren - wenn es sie denn je gegeben hatte. Ganz sicher war er plötzlich
nicht mehr.
Schließlich ging er in die Hocke und befühlte die Stelle, an der Elena gerade noch gestanden hatte. Die
wochenlange Hitze hatte auch hier, tief im Innern des Waldes, den Boden steinhart gemacht, aber seine
scharfen Augen und eine Erfahrung ermöglichten es ihm, Elenas Fußspuren auszumachen.
Unmittelbar daneben befanden sich weitere, kleinere Abdrücke im Boden. Vielleicht tatsächlich die
Spuren eines Menschen, wenngleich es sich dann um einen sehr kleinen, sehr leichten Menschen handeln
musste. Ein Kind womöglich? Er streckte die Hand aus, um danach zu tasten, tat es dann aber doch nicht.
Er richtete sich wieder auf. »Da sind Spuren«, sagte er.
Elena lächelte und schüttelte den Kopf. »Hier war niemand«, sagte sie. »Du musst dich getäuscht haben.«
Was, wenn sie Recht hatte? Andrej setzte zu einer Antwort an, beließ es dann aber bei einem zweifelnden
Blick und sah noch einmal auf die Spuren hinunter. Plötzlich war er sich nicht mehr sicher. Vielleicht log
sie ihn an, vielleicht hatte er sich wirklich getäuscht. Die Sorge um Elena, der Zorn, den er immer noch
empfand, wenn er an das Gespräch mit dem Müller zurückdachte, dieser unheimliche, viel zu stille Wald all das mochte ihm etwas vorgegaukelt haben, das er nur deshalb gesehen hatte, weil er erwartete, es zu
sehen.
Vielleicht tat er Elena tatsächlich Unrecht. Und vielleicht tat er es, weil da irgend etwas in ihm war, das ihr
Unrecht tun wollte.
Diese Möglichkeit bereitete ihm ein derart schlechtes Gewissen, dass er für einen Moment befürchtete,
Elena könne ihm seine Gedanken vom Gesicht ablesen. Fast hätte er wie ein verlegener Junge den Blick
gesenkt.
»Entschuldige«, sagte er.
»Entschuldige?« Elena runzelte die Stirn. »Wofür?« Er wollte antworten, aber sie fuhr rasch und mit fast
trauriger Stimme fort:
»Ich bin es, die sich bei dir entschuldigen muss, Andreas. Ich habe dich in eine unangenehme Situation
gebracht. Zum zweiten Mal an diesem Tag.«
Andrej sah sie fragend an.
»Vorhin, bei der Mühle«,
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