Der Untergang
erklärte sie. »Ich habe mich dumm benommen.«
»Ich könnte dir jetzt widersprechen«, sagte Andrej. »Aber
das wäre nur eine höfliche Lüge.«
»Ich weiß«, sagte Elena. Sie lächelte wieder, aber es wirkte nur noch bekümmerter als zuvor.
»Was ich gesagt habe, war nicht sehr klug, ich weiß.«
»Seit wann sind Frauen dafür bekannt, klug zu sein?«, fragte Andrej. Es sollte ein Scherz sein, um sie
aufzumuntern, aber Elenas Lächeln wurde nur noch trauriger. Ihre Mundwinkel zuckten leicht.
»Ich sollte es dennoch sein«, sagte sie. »Gerade ich.«
Er fragte nicht, wie sie das gemeint hatte. Sie hätte ihn vermutlich ohnehin nicht gehört. Ihr Blick wirkte
plötzlich leer, in sich gekehrt und von einem Gefühl der Trauer und Bitterkeit erfüllt, das er nicht wirklich
verstand, das er aber spürte, und das ihn selbst schmerzte.
»Ich habe alles nur noch schlimmer gemacht«, sagte sie. »Aber ich … ich war so zornig. Dieser Müller ist
ein solcher -« Sie unterbrach sich.
»Einfaltspinsel?«, schlug Andrej vor.
Sie schüttelte den Kopf. »Wäre es nur das«, seufzte sie. »Du kennst uns nicht, Andreas. Du weißt nur, was
du über uns gehört hast, noch dazu von Menschen, die uns kaum vertrauter waren, als du es bist.«
»Das ist auch nicht nötig«, sagte er. »Ich beurteile Menschen im Allgemeinen nach dem, was sie sind und
tun, nicht nach dem, was man über sie sagt.«
»Würden mehr so denken, wäre das Leben einfacher«, sagte Elena traurig. »Es ist immer dasselbe,
Andreas. Ganz egal, in welche Stadt wir kommen. die Leute begegnen uns mit Misstrauen und Hass. Sie
kaufen unsere Waren, sie lassen sich von uns unterhalten, und sie dulden uns für ein paar Tage, manchmal
eine Woche oder auch zwei. Aber nicht länger.«
»Du nimmst diese Narren zu Ernst«, sagte Andrej. »Handmann ist ein Dummkopf. Ein Schwätzer.«
Elena schüttelte erneut den Kopf und diesmal heftiger. »Nein«, sagte sie. »Oder doch, ja, du hast natürlich
Recht. Er ist ein Dummkopf und ein Schwätzer und noch vieles andere mehr. Aber das, was er denkt und
sagt, bleibt nicht ohne Folgen.
Es ist immer dasselbe. Irgendwann fängt ein Dummkopf an zu reden. Er bezichtigt uns des Diebstahls, der
Trunksucht oder auch der Hexerei. Du hast Recht, wenn du sagst, dass Handmann ein Narr ist. Aber oft
sind es gerade die Narren, auf die die Menschen hören, weil sie das aussprechen, was die anderen nur
nicht laut zu sagen wagen. Heute ist es der Müller, morgen wird es vielleicht der Bäcker sein, und am Tag
darauf der Pfaffe, und es wird nicht lange dauern, bis sie uns davonjagen.« Sie gab ein Geräusch von sich,
das ein resignierendes Seufzen, ebenso gut aber auch ein Ausdruck tiefster Verbitterung sein konnte. »Wie
oft habe ich geglaubt, dass es diesmal anders ist. Wie oft sind wir mit offenen Armen empfangen worden,
und ich habe mir eingeredet, dass nicht alle Menschen so sind. Aber es kam immer anders. Und es wird
auch diesmal anders kommen. Manchmal wünsche ich mir nichts mehr, als ein ganz einfaches Leben zu
führen.
Das einer Magd oder einer Wäschefrau.«
»Das ist nicht dein Ernst«, sagte Andrej.
Elena sah ihn einen Moment lang aus ihren schwarzen, unergründlichen Augen an, und dann lachte sie,
nicht lang und nicht sehr laut, aber es klang echt. »Nein, natürlich nicht«, sagte sie. »Aber wünscht man
sich nicht immer das, was man nicht hat?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Andrej.
Elena seufzte. »Vielleicht wäre es gar nicht gut, alles zu bekommen, was man sich wünscht«, sagte sie.
»Tatsächlich bleiben Träume ja nur so lange Träume, so lange sie nicht in Erfüllung gehen.« Andrej hatte
das unbestimmte Gefühl, dass diese Worte viel mehr eine Frage, denn eine Feststellung waren, und dass
sie auf eine ganz bestimmte Antwort wartete. Doch er schwieg und sah sie nur abwartend an, und nach
einer kleinen Ewigkeit, wie es ihm vorkam, seufzte Elena erneut, straffte sich und zwang sich zu einem
fast überzeugenden Lächeln.
»Lass uns zurückgehen«, sagte Andrej. Obwohl er nicht sagen konnte, warum, fühlte er sich mit jedem
Moment unwohler.
Elena hatte ihm einen Einblick in ihre Gedanken und Gefühle gewährt, den er nicht haben wollte. Die
schwarzhaarige Zigeunerin verwirrte ihn von Stunde zu Stunde mehr, und er spürte auch, dass sie auf dem
besten Wege war, Gefühle und Gedanken in ihm zu wecken, die er nicht wünschte. Nicht jetzt und nicht
hier.
»Du hast Recht«, sagte Elena. »Wir -«
Sie brach ab, neigte den Kopf zur
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