Der Unterhändler
für die Freilassung der Juwelierstochter aus Mailand geeinigt, die aus der Sommervilla der Familie nahe dem Strand von Cefalù entführt worden war. Nicht ganz eine Million Dollar nach einer ursprünglichen Forderung in fünffacher Höhe, aber schließlich war die Mafia darauf eingegangen.
Auf der anderen Seite der Lichtung tauchte ein Mann auf, unrasiert, maskiert, über dessen Schulter eine Lupara-Schrotflinte hing. An einer Hand führte er das zehnjährige Mädchen. Sie war barfuß, blaß, wirkte verängstigt, schien aber unversehrt zu sein. Zumindest körperlich. Die beiden kamen auf ihn zu. Er sah, daß die Augen des Banditen ihn durch die Maske anstarrten und dann rasch den Wald hinter ihm absuchten.
Der Mafioso blieb neben dem Aktenkoffer stehen und befahl dem Mädchen knurrend, das gleiche zu tun. Sie gehorchte. Doch sie starrte mit ihren großen, dunklen Augen zu ihrem Retter hin. Nicht mehr lange, Baby, es ist ja gleich vorbei.
Der Bandit zählte rasch die Bündel der Geldscheine in dem Köfferchen, bis er sich überzeugt hatte, daß man ihn nicht betrogen hatte. Der hochgewachsene Mann und das Mädchen blickten einander an. Er zwinkerte ihr zu; über ihr Gesicht huschte ein Lächeln. Der Bandit schloß den Aktenkoffer und machte sich rückwärtsgehend zu seiner Seite der Lichtung auf. Als er die Bäume erreicht hatte, geschah es.
Es war nicht der Carabiniere aus Rom, sondern der Schwachkopf vom Ort. Gewehrfeuer knatterte los, der Bandit mit dem Aktenkoffer stolperte und stürzte zu Boden. Natürlich hatten sich seine Komplizen hinter ihm verteilt, von den Pinien gedeckt. Sie feuerten zurück. Binnen einer Sekunde fetzte ein Kugelhagel über die Lichtung. Er brüllte » HINLEGEN …« auf italienisch, aber sie hörte ihn nicht oder war in Panik geraten und versuchte auf ihn zuzulaufen. Er sprang hoch und warf sich ihr über die sieben Meter, die sie trennten, entgegen.
Er schaffte es beinahe. Er sah sie vor sich, dicht vor seinen Fingerspitzen, nur ein paar Zentimeter vor seiner ausgestreckten rechten Hand, die sie herunterreißen wollte aufs Gras, in Sicherheit, er sah die schreckliche Angst in ihren großen Augen, die kleinen weißen Zähne in dem zum Schrei geöffneten Mund … und dann die karmesinrote Rose, die vorne an ihrem dünnen Baumwollkleidchen aufblühte. Dann sank sie wie in den Rücken gestoßen auf die Erde, und er erinnerte sich, wie er sich über sie geworfen und sie mit seinem Körper gedeckt hatte, bis die Schießerei aufhörte und die Mafiosi sich durch den Wald davonmachten. Er dachte daran zurück, wie er auf der Erde gehockt, den kleinen, schlaffen Körper in seinen Armen gewiegt und weinend zu den konsternierten und verspätete Entschuldigungen stammelnden Ortspolizisten hingebrüllt hatte: »Nein, o nein, großer Gott, nicht noch einmal …«
1. Kapitel
November 1989
Der Winter war in diesem Jahr früh gekommen. Bereits Ende des Monats fegten die ersten Vorboten, getragen von einem bitterkalten Wind aus den Steppen im Nordosten, über die Dächer, um Moskaus Widerstandskraft zu prüfen.
Das Hauptquartier des sowjetischen Generalstabs befindet sich an der Uliza Frunse, ein graues Steingebäude aus den dreißiger Jahren, vis-à-vis seiner Dependance, einem viel moderneren, achtstöckigen Hochhaus auf der anderen Straßenseite. In der obersten Etage des alten Baus stand der sowjetische Generalstabschef am Fenster. Er starrte hinaus in das eisige Schneetreiben, und seine Stimmung war so trübe wie der nahende Winter.
Marschall Iwan K . Koslow war siebenundsechzig, zwei Jahre über das vorgeschriebene Pensionsalter hinaus, doch in der Sowjetunion hielten – wie überall sonst auch – diejenigen, die die Vorschriften erfanden, den Gedanken für abwegig, daß diese auch für sie selbst gelten sollten. Zu Beginn des Jahres hatte er zur allgemeinen Überraschung in der Militärhierarchie den altgedienten Marschall Achromejew abgelöst. Die beiden Männer waren so verschieden wie Tag und Nacht. Achromejew war ein kleiner, stockdürrer Intellektueller gewesen, Koslow hingegen ein gutmütig-derber, weißhaariger Riese, ein Soldat vom Scheitel bis zur Sohle, Sohn, Enkel und Neffe von Soldaten. Obwohl vor seiner Beförderung nur der dritte unter den Ersten Stellvertretenden Generalstabschefs, hatte er die beiden ranghöheren vor ihm übersprungen, und diese waren ohne Aufsehen in Pension gegangen. Niemand hatte den geringsten Zweifel, warum er an die Spitze gelangt war. Von 1987
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