Der Unterhändler
Aber das ist eine allzu optimistische Annahme, da wir seither unsere Produktion und damit den Abbau der Erdölvorräte steigern mußten. Heute verfügen wir nur noch über Reserven für sieben bis acht Jahre.
Die Bedarfssteigerung hat zwei Gründe. Der eine liegt in der anwachsenden Industrieproduktion, namentlich auf dem Verbrauchsgütersektor, wie sie vom Politbüro seit der Einführung der neuen Wirtschaftsreformen gefordert wird, der andere in der Ineffizienz dieser Industriezweige, nicht nur der traditionellen, sondern auch der neuen. Unsere Fertigungsindustrie krankt an einer gewaltigen Ineffizienz im Energieeinsatz, und dazu kommt in zahlreichen Fällen noch der Verstärkungseffekt durch eine veraltete maschinelle Ausstattung. Beispielsweise hat ein russisches Auto das dreifache Gewicht seines amerikanischen Pendants, nicht nur wegen unserer strengen Winter, wie offiziell behauptet wird, sondern weil unsere Stahlwerke nicht genügend Feinblech produzieren können. Mithin wird für die Fertigung des Wagens ein höherer Prozentsatz des aus Erdöl gewonnenen Stroms gebraucht als im Westen, und zudem verbraucht der Wagen, wenn er erst in den Verkehr gelangt ist, noch mehr Benzin.
ALTERNATIVEN: Kernkraftwerke produzieren elf Prozent der in der Ud SSR erzeugten Elektrizität, und unsere Planer hatten damit gerechnet, daß bis zum Jahr 2000 zwanzig Prozent oder mehr von Reaktoren produziert wird. Bis Tschernobyl. Leider wurden vierzig Prozent unseres Atomstroms von Werken des gleichen Typs wie dem in Tschernobyl erzeugt. Seither sind die meisten davon wegen »technischer Veränderungen« stillgelegt worden – in Wirklichkeit ist es äußerst unwahrscheinlich, daß sie wieder in Betrieb gehen werden –, und der geplante Bau weiterer Anlagen wurde gestrichen. Ergebnis: Unsere Stromerzeugung durch Kernkraftwerke hat keinen zweistelligen Prozentanteil erreicht, sondern ist auf sieben Prozent gesunken und sinkt weiter.
Wir verfügen über die größten Erdgasreserven auf der Welt, doch leider befinden sich die Gasvorkommen hauptsächlich in Sibirien mit seinen extremen Witterungsbedingungen, und es ist nicht damit getan, das Gas einfach aus dem Boden zu holen. Wir brauchen – haben aber nicht – eine gewaltige Infrastruktur aus Pipelines und Verteilungsnetzen, um es aus Sibirien in unsere Städte, Fabriken und Kraftwerke zu transportieren.
Sie werden sich vielleicht erinnern, daß wir in den frühen siebziger Jahren, als nach dem Jom-Kippur-Krieg die Ölpreise in schwindelerregende Höhen getrieben wurden, das Angebot machten, Westeuropa langfristig mit Erdgas zu versorgen. Mit Hilfe der Vorfinanzierung für den Bau der Rohrleitungen, die uns die Europäer zugesagt hatten, wäre es möglich gewesen, das notwendige Verteilungsnetz einzurichten. Doch da Amerika davon keine Vorteile gehabt hätte, torpedierten die USA diese Initiative mit der Androhung verschiedenster Wirtschaftssanktionen gegen jedes Land, das mit uns kooperieren würde. Damit war das Projekt gestorben. Heute, nach dem Einsetzen des sogenannten »Tauwetters«, wäre ein solches Vorhaben vielleicht politisch durchzusetzen, doch im Augenblick sind die Ölpreise im Westen niedrig, und unser Erdgas wird nicht gebraucht. Bis der weltweite Rückgang der Erdölförderung im Westen den Preis abermals auf eine Höhe getrieben hat, die unser Erdgas wieder interessant macht, ist es für die Ud SSR viel zu spät.
Somit ist keine der beiden denkbaren Alternativen von praktischer Bedeutung. Erdgas und Kernenergie werden unsere Probleme nicht lösen. Unsere Industrie wie auch die unserer Partner, die in ihrer Energieversorgung von uns abhängig sind, ist untrennbar mit Brenn- und industriellen Grundstoffen auf Erdölbasis verbunden.
DIE VERBÜNDETEN: Eine kurze Nebenbemerkung zu unseren Verbündeten in Mitteleuropa, den Staaten, die von Propagandisten im Westen als unsere »Satelliten« bezeichnet werden. Obwohl sich ihre Gesamt-Erdölförderung – hauptsächlich aus dem kleinen rumänischen Fördergebiet in Ploesti – immerhin auf 173 Millionen Barrel pro Jahr beläuft, ist dies im Vergleich zu ihrem Bedarf ein Tropfen im Ozean. Der Restbedarf wird von uns gedeckt und das ist einer der Faktoren, die sie in unserem Lager halten. Um die Belastung für uns etwas zu mildern, haben wir zwar ein paar Tauschgeschäfte zwischen ihnen und Ländern im Nahen Osten sanktioniert, doch sollten sie irgendwann einmal von unserem Öl unabhängig – und damit vom Westen
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