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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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sie die tief gezogenen Hüte wieder aufgesetzt hatten und vorüber waren, sagte Jadassohn: »Man wird sich die Herrschaften merken müssen, die den freimaurerischen Unfug noch mitmachen. Seine Majestät mißbilligt ihn entschieden.«
    »Von meinem Schwager Heuteufel wundert mich selbst das gefährlichste Sektenwesen nicht«, erklärte der Pastor.
    »Nun, und der Herr Lauer?« meinte Diederich. »Ein Mensch, der sich nicht entblödet, seine Arbeiter am Gewinn zu beteiligen? Dem ist alles zuzutrauen!«
    »Das Unerhörteste«, behauptete Jadassohn, »ist doch, daß Herr Landgerichtsrat Fritzsche sich in dieser Judengesellschaft zeigt: ein Königlicher Landgerichtsrat Arm in Arm mit dem Wucherer Cohn. Wie haißt Cohn«, machte Jadassohn und steckte den Daumen unter die Achsel.
    Diederich sagte: »Da er ja mit der Frau Lauer —« Er brach ab und erklärte, dann begreife er allerdings, daß diese Leute vor Gericht immer recht bekämen. »Sie halten zusammen und schmieden Ränke.« Pastor Zillich murmelte sogar etwas von Orgien, die sie in dem Haus dort feiern sollten und bei denen schon unaussprechliche Dinge vorgekommen waren. Aber Jadassohn lächelte bedeutsam: »Nun, glücklicherweise sieht ihnen Herr von Wulckow gerade in die Fenster hinein.« Und Diederich nickte beifällig zu dem Gebäude der Regierung hinüber. Gleich daneben, vor dem Bezirkskommando, ging ein Wachtposten auf und ab. »Da lacht einem doch das Herz, wenn man das Gewehr so eines braven Burschen blinken sieht!« rief Diederich aus. »Damit halten wir die Bande in Schach.«
    Das Gewehr blinkte freilich nicht, denn es ward dunkel. Schon schoben sich Abteilungen heimkehrender Arbeiter durch das abendliche Gedränge. Jadassohn schlug einen Dämmerschoppen bei Klappsch vor, gleich um die Ecke. Dort war es gemütlich, zu dieser Stunde kam niemand hin. Auch war Klappsch ein Gutgesinnter, der dem Pastor, indes seine Tochter das Bier brachte, seinen heißen Dank aussprach für die segensreiche Arbeit, die er in der Bibelstunde an seinen Jungen vollbringe. Der älteste hatte zwar doch wieder Zucker gestohlen, dafür aber hatte er nachts nicht schlafen können, sondern seine Sünde Gott so laut gebeichtet, daß Klappsch es hörte und ihn durchprügeln konnte. Von da kam das Gespräch auf die Beamten der Regierung, die Klappsch mit Frühstück versorgte und von denen er berichten konnte, wie sie am Sonntag die Kirchzeit verbrachten. Jadassohn machte sich Notizen, und gleichzeitig verschwand seine Hand hinter Fräulein Klappsch. Diederich besprach mit Pastor Zillich die Gründung eines christlichen Arbeitervereins. Er verhieß: »Wer von meinen Leuten nicht rein will, fliegt!« Diese Aussichten heiterten den Pastor auf; nachdem Fräulein Klappsch mehrmals Bier und Kognak gebracht hatte, befand er sich in demselben Zustand hoffnungsvoller Entschlossenheit, den seine beiden Gefährten im Laufe des Tages erreicht hatten.
    »Mein Schwager Heuteufel«, rief er und schlug auf den Tisch, »soll so viel von der Affenverwandtschaft predigen, wie er will, ich krieg meine Kirche doch wieder voll!«
    »Nicht nur Ihre«, beteuerte Diederich.
    »Na, es gibt nun mal zu viele Kirchen in Netzig«, gestand der Pastor. Da sagte Jadassohn schneidend: »Zu wenige, Mann Gottes, zu wenige!« Und er nahm Diederich zum Zeugen, wie in Berlin die Dinge sich entwickelt hatten. Auch dort standen die Kirchen leer, bis Seine Majestät selbst eingegriffen hatte. »Sorgen Sie dafür«, hatte er einer Abordnung der städtischen Behörden gesagt, »daß in Berlin Kirchen gebaut werden.« Nun wurden sie gebaut, die Religion war wieder aktuell, es kam Betrieb hinein. Und alle, der Pastor, der Kneipwirt, Jadassohn und Diederich begeisterten sich für die tiefe Frömmigkeit des Monarchen. Da fiel ein Schuß.
    »Es hat geknallt!« Jadassohn sprang zuerst auf, alle sahen erbleicht einander an. Vor Diederichs innerem Auge erschien blitzschnell das knochige Gesicht Napoleon Fischers, seines Maschinenmeisters, mit dem schwarzen Bart, durch den man die graue Haut sah, und er stammelte: »Der Umsturz! Es geht los!« Draußen war Getrappel von Laufenden: auf einmal griffen alle nach ihren Hüten und rannten hinaus.
    Die Leute, die sich schon angesammelt hatten, hielten in einem scheuen Bogen von der Ecke des Bezirkskommandos bis an die Treppe der Freimaurerloge. Drüben, wo der Kreis offenstand, lag jemand, das Gesicht nach unten, mitten auf der Straße. Und der Soldat, der vorhin so munter auf und ab gegangen

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