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Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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liebte, war Das kühne Entlein, die Geschichte einer etwas einfältigen Ente in einer karierten Hose, die eine Dummheit nach der anderen anstellte. Die Geschichte ging am Ende aber gut aus, ein wahres Wunder. Marthe seufzte. Du fängst an zu spinnen, meine Liebe. Für diese Dinge bist du zu alt. Sowohl für das kühne Entlein wie für die Häßliche, die schön wurde. Die Realität war, daß Ludwig ihren Jungen nicht gemocht hatte und die Sache damit für ihn schlecht anfing, auch wenn alle Bewohner des Waldes ihm zu Hilfe eilen würden, was höchst unwahrscheinlich war.
    Marthe ging brummelnd im Zimmer umher. Nein, mit Eichhörnchen könnte man das alles gewiß nicht ändern. Einstweilen wäre es trotzdem nicht schlecht, den Jungen ein bißchen aufzumöbeln und ihm die Haare zu schneiden, so wie Ludwig es gesagt hatte. Der Deutsche war unzufrieden, sicher, aber er würde ihn nicht den Bullen ausliefern. Nicht sofort. Sie hatte ein bißchen Zeit, ihren Kerl herzurichten.
    Sie schüttelte Clement sanft an der Schulter.
    »Wach auf, mein Junge«, sagte sie. »Ich muß dich ein bißchen herrichten.«
    Sie setzte ihn auf einen Hocker im Bad und legte ihm ein Handtuch um. Der junge Mann schwieg und ließ gefügig alles mit sich geschehen.
    »Ich muß sie kurz schneiden«, kündigte Marthe an.
    »Dann sieht man meine Ohren«, sagte Clement.
    »Ich laß dir ein bißchen drüber stehen.«
    »Warum sind meine Ohren nicht eingerollt?«
    »Ich weiß es nicht, mein Kleiner. Mach dir deswegen keine Sorgen. Sieh dir die von Ludwig an, die sind nicht besser. Er hat riesige Ohren, und trotzdem ist er schön.«
    »Ist Ludwig der Mann, der mir all die Fragen gestellt hat?«
    »Ja, das ist er.«
    »Er hat mich persönlich ermüdet«, sagte Clement klagend.
    »Es ist sein Beruf, die Leute zu ermüden. Man sucht sich das nicht immer aus. Er ist auf der Suche nach Dreckskerlen, allen möglichen Dreckskerlen, deshalb ermüdet er alle. Das ist so, als ob du einen Baum schütteln wolltest, um die Nüsse runterzuholen. Wenn du nicht schüttelst, kriegst du auch keine Nüsse.«
    Clement nickte. Das erinnerte ihn an den Unterricht, den Marthe ihm gegeben hatte, als er klein war.
    »Zappel nicht so rum, ich vermurks dich noch. Ich hab nur die Küchenschere, ich weiß nicht, ob die auch für Haare geht.«
    Clement hob abrupt den Kopf.
    »Aber du tust mir mit der Schere nicht weh, nein, Marthe?«
    »Aber nein, mein Großer. Halt still.«
    »Was hast du über die Ohren gesagt?«
    »Wenn du anfängst, dir wirklich mal die Ohren der Leute anzusehen, wenn du dir mal wirklich nur ihre Ohren ansiehst und nichts anderes, zum Beispiel in der Metro, dann siehst du, daß sie alle schrecklich sind, da kann dir schwindlig werden. Und jetzt hören wir auf, von Ohren zu reden, ich hab das nämlich ziemlich schnell satt.«
    »Ich auch. Vor allem bei Frauen.«
    »Na, und ich vor allem bei Männern. Siehst du, mein Junge, so ist die Natur. Das ist gut eingerichtet.«
    Ja, sagte sich Marthe, während sie an den Haarlocken herumschnitt, ja, sie würde wieder mit dem Unterricht anfangen, wenn man ihr die Zeit lassen würde.
    »Danach färbe ich dir die Haare in einem richtig dunklen Braun, genau wie deine Augen. Und dann schmink ich dich ein bißchen, ein bißchen kaum erkennbare Bräunung, passend zur Haarfarbe. Vertrau mir. Du wirst sehen, dann bist du schön, und die Bullen können lange rennen, bis sie dich wiedererkennen. Und dann essen wir die Schweinekoteletts zum Abendessen. Das wird gut.«
     

12
     
    Marc Vandoosler war ziemlich spät mit dem Putzen bei Madame Mallet fertig geworden, und die anderen hatten bereits mit dem Abendessen angefangen, als er ins Refektorium kam. Der Pate war mit Kochen drangewesen, und es gab Gratin. Der Pate war Meister im Zubereiten von Gratin.
    »Iß. Sonst wird's kalt«, sagte Vandoosler der Ältere. »Der Deutsche war übrigens heute mittag hier und hat sich alte Klamotten von dir mitgenommen. Mir ist lieber, du weißt es.«
    »Ich weiß«, antwortete Marc. »Wir sind uns begegnet.«
    »Wozu hat er die Klamotten gebraucht?«
    Marc nahm sich von dem Gratin.
    »Um jemanden zu verstecken, den die Bullen suchen.«
    »Ganz Kehlweilers Art«, brummte der Pate. »Was hat der Typ verbrochen?«
    Marc sah nacheinander Mathias, Lucien und den Paten an, die sich ahnungslos mit Gratin vollstopften.
    »Nichts Besonderes«, sagte er düster. »Er hat bloß zwei Frauen umgebracht, es ist der Scherenmörder.«
    Alle Gesichter hoben sich

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