Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
lassen. Er schien aufrichtig erfreut, ihn wiederzusehen. Loisel war ungefähr so alt wie Louis, um die Fünfzig, er war schmächtig und blond und rauchte Zigaretten, die schmal waren wie Strohhalme. Bei den Bullen und im Ministerium kannte man Kehlweiler vor allem unter seinem Spitznamen »der Deutsche«, so nannte ihn auch Loisel. Louis konnte nicht viel dafür, und es war ihm egal. Er war halb Deutscher, halb Franzose und ein Kind des Krieges und wußte kaum, auf welcher Seite er seine Wurzeln ausstrecken sollte; am liebsten hätte er sich Rhein genannt, aber das war eine anmaßende Phantasie, von der er niemandem etwas erzählte. Man nannte ihn Ludwig oder Louis. Nur Marc Vandoosler redete manchmal, aus welcher genialen Eingebung heraus auch immer, vom »Sohn des Rheins«.
    »Salut, Deutscher«, sagte Loisel. »Schön, dich zu sehen. Ist ja Jahre her.«
    »Und dein Sohn?« fragte Louis und setzte sich.
    Loisel hob beruhigend die Hände, und Louis antwortete mit einem Kopfnicken.
    »Und du?« entgegnete der Kommissar.
    »Ich bin vor vier Jahren aus dem Ministerium geflogen.«
    »Das war vorauszusehen. Danach nichts mehr? Keine offizielle Mission mehr?«
    »Ich lebe vom Übersetzen. Gut, ich habe mich auch mit ein paar Fällen beschäftigt, aber mehr im Hintergrund. Es ist schwieriger, als man denkt, sich abseits zu halten, wenn man so seine Kartei hat. Die bedrängt dich. Sie schreit dir ihre Erinnerungen in die Ohren. Das Ereignis geht nicht an dir vorüber, es verfolgt dich, sein Echo hängt in deinen Aktenschränken. Das macht einen solchen Lärm, daß du nicht mehr friedlich schlafen kannst - ja, so ist das.«
    »Und diesmal?«
    »Ich bin dabei, friedlich eine Bismarck-Biographie zu übersetzen, da kommt ein Typ dahergelaufen und bringt in Paris zwei Frauen um.«
    »Der Scherenmörder?«
    »Ja.«
    »Und das hat bei dir ein Echo ausgelöst?« fragte Loisel mit plötzlich erwachtem Interesse.
    »Sagen wir, es läßt mich nicht gleichgültig. Es erinnert mich an etwas, aber ich komme nicht drauf, an was.«
    Was für ein Stuß, dachte Louis.
    »Du erzählst Witze«, sagte Loisel. »Das erinnert dich an etwas, aber du willst mir nicht sagen, an was.«
    »Ich schwör's dir. Es ist ein Echo ohne Namen und Gesicht, deshalb bin ich zu dir gekommen. Ich brauche Details. Natürlich nur, wenn es dich nicht stört, darüber zu reden.«
    »Nein«, sagte Loisel zögernd.
    »Wenn sich die Sache bestätigt, sage ich dir auch, was mich beschäftigt.«
    »Einverstanden. Ich weiß, daß du korrekt bist, Deutscher. Es ist schließlich nichts dabei, ein bißchen zu reden. Es würde mich wundern, wenn du's den Zeitungen sagen würdest.«
    »Die wissen ja schon fast alles.«
    »Fast alles, ja. Warst du bei dem Kollegen vom 19.? Wegen des ersten Mordes?«
    »Nein, ich bin direkt zu dir gekommen.«
    »Warum?«
    »Weil ich den Kommissar vom 19. nicht mag. Er ist ein Arschloch.«
    »Aha ... Findest du?«
    »Ja, wirklich.«
    Der leitende Kommissar zündete sich eine seiner Strohhalmzigaretten an.
    »Ich auch«, sagte er mit fester Stimme.
    Louis war klar, daß sie soeben einen soliden Pakt geschlossen hatten, denn nichts verbindet stärker als die Verständigung über die Dummheit eines Dritten.
    Loisel ging schlurfend zu seinem Metallregal. Loisel hatte schon immer geschlurft, eine erstaunliche Sache bei einem Mann, der eher dazu neigte, Männlichkeit und Vitalität an den Tag zu legen. Er zog eine ziemlich umfangreiche Akte aus dem Regal und ließ sie theatralisch auf seinen Schreibtisch fallen.
    »Da«, sagte er seufzend. »Dieser wahnsinnige Mörder ist der übelste Fall, den wir seit Jahren in der Hauptstadt hatten. Ich brauche dir nicht zu sagen, daß der Minister uns Feuer unterm Arsch macht. Wenn du mir also helfen kannst und ich dir helfen kann, eine Hand wäscht die andere, ganz fair ... Wenn du den Typen schnappst ...«
    »Das versteht sich von selbst«, versicherte Louis, der daran dachte, daß dieser Typ sich sicherlich gerade auf Marthes Federbett zusammenrollte, während Marthe ihm eine Geschichte vorlas, um ihn von seinen Gedanken abzulenken.
    »Was willst du wissen?« fragte Loisel und blätterte in der Akte.
    »Was ist mit den Morden? Gibt es weitere Einzelheiten, außer denen, die in der Presse geschildert wurden?«
    »Nicht wirklich. Da, sieh dir die Fotos an, das sagt dir mehr. Wie heißt es immer, eine gute Zeichnung ... Hier sind die Bilder vom ersten, vom 21. Juni, am Square d'Aquitaine. Der Kommissar war wie

Weitere Kostenlose Bücher