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Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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transportieren. Und zwar leise, es sei nicht nötig, die Studenten in Scharen anzulocken. Vor dort aus riefen sie die Polizei und einen Rettungswagen für die junge Frau, der sie ins Krankenhaus fuhr. Die Polizei nahm auch Clement mit und behielt ihn mindestens zwei Stunden da, bevor sie ihn gehen ließen. Er durfte die Stadt nicht verlassen.
    Aber in der Nacht - und in diesem Moment zeigte Clement bei seinem Bericht Zeichen großer innerer Erregung, war die Frau gestorben. Und am nächsten Morgen hatte man einen der Studenten des Instituts ertrunken in der Loire gefunden. Man hatte Clement kommen lassen. Der Ertrunkene war genau der Typ, dem er die Maske abgerissen hatte. Damals hatte er den Namen noch gewußt, ein großer Junge, der es immer wieder geschafft hatte, ihn zu piesacken. Herve irgendwas. Jetzt kam er nicht mehr auf den Familiennamen. Posselet, Rousselet, irgend so was. Die Polizei hatte daraus geschlossen, der Typ, dieser Herve, habe sein Opfer im Krankenhaus ermordet, da er sich erkannt wußte, und dann Clement aus dem Weg räumen wollen. Schließlich, so die Folgerung der Polizei, hatte er aber nicht durchgehalten und war in die Loire gesprungen.
    Danach hatte Merlin, der Direktor, Clement klargemacht, daß es für das Institut besser sei, das ganze Drama zu vergessen, und er sich anderswo Arbeit suchen müsse. Er hatte einen langen Brief aufgesetzt, in dem stand, daß Clement ein sehr guter Gärtner sei.
    »Ich war sehr niedergehauen, als ich gegangen bin«, sagte Clement. »Und der Direktor war auch sehr niedergehauen. Wir haben uns gut verstanden.«
    »Und die beiden anderen Vergewaltiger? Hattest du eine Ahnung von ihrer Identität?«
    Clement hob die Hand.
    »Wußtest du, wer sie waren?«
    »Ich konnte sie nicht erkennen, wegen ihrer Masken. Der Kleinere, der als erster weggerannt ist, weil er noch die Hosen anhatte ...»
    Clement schüttelte langsam den Kopf.
    »Ich habe keine persönliche Ahnung«, sagte er bedauernd. »Er war alt, ein Alter von mindestens fünfzig.«
    »Das heißt, er wäre heut sechzig«, sagte Louis, der sich noch immer Notizen machte. »Wie kommst du darauf, daß er alt war?«
    »Das kurze Hemd. Er hatte so ein Hemd wie alte Männer, mit einem Unterhemd drunter.«
    »Wie hast du mitten in der Nacht sein Unterhemd sehen können?«
    »Aber doch wegen dem Wasser«, sagte Clement und sah Louis an, als hätte er es mit einem Trottel zu tun. »Das Wasser macht alles durchsichtig.«
    »Ja. Entschuldigung. Und der andere?«
    »Der andere hatte die Hose runter«, sagte Clement mit einem gemeinen Lächeln. »Ich hab ihn gehaßt. Und als ich ihm selbst auf den Bauch gesprengt habe, hat er unter seiner Strumpfmaske geschrien: ›Du wirst den Sohn schon noch bekommen! Du wirst den Sohn schon noch bekommen!‹ Das habe ich nicht verstanden.«
    »›Du wirst deinen Lohn schon noch bekommen!‹«, schlug Louis vor.
    »Ich seh keinen Unterschied.«
    »Das bedeutet, daß er dir übelwollte.«
    Clement hob die Hand.
    »Das bedeutet, daß er dich gehaßt hat«, wiederholte Louis.
    »Ich habe ihn auch gehaßt«, sagte Clement schroff.
    »Hast du ihn erkannt? Selbst unter der Maske?«
    »Oh ja«, erwiderte Clement wütend. »Er hatte sein altes dreckiges Polohemd an, das beige, und es war seine widerliche Stimme.«
    In dem Moment verzog sich das kleine, unsympathische Gesicht von Clement, der sich zu Louis beugte, vor Abscheu. Der junge Mann sah noch unangenehmer aus. Louis wich leicht zurück. Clement legte ihm eine Hand auf die Schulter.
    »Der andere Mann«, fuhr er fort und klammerte sich an Louis fest, »war der ›Schnitter‹!«
    Clement stand plötzlich auf und preßte beide Hände auf den Tisch.
    »Der ›Schnitter‹!« schrie er. »Und niemand hat mir selbst geglaubt! Sie haben gesagt, es gibt keine Geleise ...«
    »Keine Beweise«, sagte Louis.
    »Und sie haben ihm nichts getan, nichts! Nach all den Rinden, die er kaputtgemacht hat, und dann auch noch die Frau!«
    Louis war ebenfalls aufgestanden und versuchte, Clement zu beruhigen, der rote Flecken im Gesicht bekommen hatte. Louis drückte ihn schließlich mit Gewalt auf den Stuhl, was nicht sehr schwer war, und hielt ihn, an die Rückenlehne gedrückt, fest.
    »Und wer ist der Typ?« fragte Louis mit fester Stimme.
    Dieser entschiedene Ton und die beiden Hände, die auf seine Schultern drückten, schienen Clement zu beruhigen. Er mahlte mit den Kiefern.
    »Der Chefgärtner«, sagte er schließlich, »das Ungeheuer der Bäume.

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