Der untröstliche Witwer von Montparnasse
die Hölle ...«
Louis nickte verständnisvoll.
»Aber was wollen Sie machen?« fragte Merlin wie zu sich selbst. »Er ist ja immerhin mein Schwiegervater ... Ich kann ihn nicht mit Siebzig raussetzen.«
Etwas bedrückt kam Merlin zu seinem Sessel zurück und nahm für ein paar Augenblicke seine Meditation wieder auf.
»Ich würde einiges dafür geben«, sagte er schließlich in hartem Ton, »daß die beiden Typen in den Knast kommen.«
Louis wartete.
»Sehen Sie«, fuhr der ehemalige Direktor fort, während er eine sichtbare Anstrengung unternahm, seine Stimme unter Kontrolle zu behalten, »diese drei Vergewaltiger haben mein Leben zerstört. Wo der junge Vauquer es mir doch beinahe gerettet hätte. Ich habe diese Frau, Nicole Verdot, geliebt, ich hatte gehofft, sie zu heiraten. Ja, ich war zuversichtlich, ich wollte die Sommerferien abwarten, bevor ich mit ihr sprach. Und dann dieses Drama ... Eine junge Frau und drei Dreckskerle. Rousselet hat sich umgebracht, und ich werde ihn nicht beweinen. Ich würde einiges geben, um die beiden anderen hinter Gitter zu bringen.«
Merlin richtete sich auf und legte mit nach vorne geneigtem Kopf seine kurzen Arme auf den Tisch.
»Zunächst einmal der ›Schnitter‹ ...«, sagte Louis. »Wissen Sie, wo er ist?«
»Leider nein. Ich habe ihn nach dem Drama auch sofort entlassen. Immerhin gab es ernsthafte Verdachtsmomente gegen ihn, auch wenn es keinerlei Beweise gab. Genau wie Vauquer etwas Rührendes hatte, wenn man so will, war Thevenin - ›der Schnitter‹, wie ihn die Gärtner nannten - abstoßend. Immer verdreckt, immer mit einem schrägen Blick auf die jungen Studentinnen. Na ja, andere in ihren feinen Anzügen waren auch nicht erfreulicher. Angefangen bei meinem Schwiegervater, zum Beispiel«, sagte Merlin und deutete mit dem Kinn aggressiv in Richtung Fenster. »Unaufhörlich dabei, die jungen Mädchen anzustarren, ihnen nachzustieren ... Nicht bösartig, aber plump und sehr peinlich. Das ist ein Problem in den Internaten. Fünfundsiebzig junge Mädchen auf der einen Seite, achtzig junge Männer auf der anderen, glauben Sie mir, da ist es schwer, Ordnung zu halten. Na ja, Thevenin jedenfalls hatte ich ohne große Begeisterung eingestellt, um einer Freundin der Familie einen Gefallen zu tun ... Er leistete gute Arbeit, er hat phantastisches Gemüse herangezogen. Vauquer behauptete, er hätte Baumrinden mit seiner Gartenschere zerschnitten ... Ich bin davon nicht überzeugt.«
»Haben Sie ihn in Nevers danach nie wiedergesehen?«
»Nein, tut mir leid. Aber ich kann Ihnen trotzdem helfen, ich kann versuchen, mich zu erkundigen. Ich kenne so viele Leute in Nevers, daß ich irgendwas erreichen müßte.«
»Gern«, sagte Louis.
»Bei dem anderen Mann wüßte ich nicht, wie man vorgehen könnte ... Um so mehr, als er von außen gekommen sein kann. Ein Bekannter des ›Schnitters‹ oder von Rousselet, was weiß ich ... Nur der ›Schnitter‹ selbst könnte uns das sagen ...«
»Deshalb würde ich ihn gerne zu fassen kriegen«, sagte Louis und erhob sich.
Merlin stand ebenfalls auf und begleitete ihn an die Tür. Im Hof begann plötzlich erneut das Kreischen der Schleifmaschine. Merlin zeigte einen resignierten Gesichtsausdruck, genau wie Bufo bei großer Hitze, und gab Louis die Hand.
»Ich hör mich um«, sagte er. »Ich halte Sie auf dem laufenden. Behalten Sie meine Geschichte für sich.«
Louis überquerte den gepflasterten Hof langsam genug, um durch das Fenster einer Werkstatt den Mann wahrzunehmen, der diese schreckliche Maschine bediente. Er hatte weiße Haare, einen nackten, behaarten Oberkörper, eine frische Gesichtsfarbe und machte einen rüstigen Eindruck. Er legte die Maschine ab, um Louis mit einer ausholenden Bewegung zu grüßen. Louis erkannte eine Unmenge kleiner Holzstatuen auf einer Werkbank und ein unbeschreibliches Durcheinander. Während er das Hoftor des Stadtpalais' hinter sich schloß, hörte er noch, wie das Fenster im ersten Stock geöffnet wurde und Merlins Stimme schrie: »Stell das Ding ab, verdammt!«
20
Am Abend ging Louis bei Marthe vorbei, beruhigte sie, was den Zustand ihrer Puppe betraf, und erneuerte seine Vorsichtsmaßregeln.
Gegen zehn Uhr abends besuchte er Clement Vauquer und erzählte ihm ausführlich von seinem Besuch bei dem ehemaligen Direktor.
»Er hat dich gemocht«, sagte er Clement, der merkwürdigerweise keinerlei Absicht zeigte, schlafen zu gehen, und eher unruhig schien.
»Ich selbst auch
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