Der untröstliche Witwer von Montparnasse
seinem Werkzeug herumlief. Clement hatte eine Art, von ihm zu reden, die einem eine Gänsehaut machte. Er spürte Louis' Arm, der ihn an der Schulter zurückhielt.
»Da«, flüsterte Louis. »Links.«
Etwa dreißig Meter weiter flackerte ein kleines Licht neben einem Baum. Man sah die Silhouette eines Mannes, der am Fuß des Baumes saß.
»Geh du auf die rechte Seite, ich komme von da«, befahl Louis.
Marc verließ ihn und ging um die Bäume herum. Eine halbe Minute später befanden sich die beiden Männer zu beiden Seiten des ›Schnitters‹. Der Mann sah sie erst in letzter Sekunde und schreckte heftig zusammen, wobei ihm sein Blechteller, aus dem er gerade gegessen hatte, vor die Füße fiel. Er hob ihn mit unsicherer Hand auf, sah dabei abwechselnd auf den einen und auf den anderen Mann und versuchte aufzustehen.
»Bleib sitzen, Thevenin«, sagte Louis und drückte ihm seine breite Hand auf die Schulter.
»Was wollt ihr von mir, verdammte Scheiße?« fragte der Mann mit schleppender Stimme und dem starken Akzent von Nevers.
»Du bist doch Thevenin, oder?« fragte Louis.
»Ja, und?«
»Du schläfst an deiner Arbeitsstätte?«
»Ja, und? Das stört niemanden.«
Louis machte die Lampe an und leuchtete dem Mann ins Gesicht.
»Was ist denn mit euch los, Herrgott?« brüllte Thevenin.
»Ich will sehen, wie du aussiehst.«
Er besah sich den Mann aufmerksam und verzog dann das Gesicht.
»Jetzt unterhalten wir uns«, sagte er.
»Nichts zu machen. Ich kenn euch nicht.«
»Das macht nichts. Uns schickt jemand.«
»Häh!?«
»Ja. Und wenn du heute nicht redest, dann morgen. Oder später. Das macht nichts, die Person hat's nicht eilig.«
»Wer ist es?« fragte Thevenin mit seiner schleppenden Stimme, in der Mißtrauen schwang.
»Die Frau, die du in Nevers mit zwei kleinen Kumpels vergewaltigt hast. Nicole Verdot.«
Thevenin wollte erneut aufstehen, und Louis ließ ihn mit einem Stoß seiner Hand wieder zu Boden fallen.
»Keine Panik«, sagte er ruhig.
»Ich hab nichts damit zu tun.«
»Doch.«
»Ich war nicht dabei.«
»Doch.«
»Scheiße!« brüllte Thevenin. »Seid ihr bescheuert oder was? Gehört ihr zu ihrer Familie? Ich sag euch, ich hab das Mädchen nicht angerührt!«
»Doch. Du hattest dein beiges Polohemd an.«
»Ich bin nicht der einzige mit einem beigen Polohemd!« rief der Mann.
»Und hattest dieselbe näselnde Stimme wie heute.«
»Wer hat euch denn den ganzen Schwachsinn erzählt?« fragte Thevenin, der plötzlich Oberwasser bekam. »Wer? Das war der Junge, nicht wahr? Aber natürlich, das war der Junge! Er war das! Der Dorfdepp!«
Thevenin fing an zu lachen und griff nach seiner Weinflasche, die an den Baumstamm gelehnt war. Er nahm einen tiefen Zug.
»Er war das, nicht wahr?« fragte er und schwenkte seine Flasche vor Louis' Nase. »Der Schwachkopf? Wißt ihr wenigstens, was euer Spitzel wert ist?«
Thevenin lachte höhnisch, zog eine alte Leinentasche hervor und wühlte wie besessen darin.
»Da!« rief er und schüttelte erst vor Louis', dann vor Marcs Nase eine Zeitung, die auf der Seite mit dem Phantombild aufgefaltet war. »Ein Mörder! Das ist euer Spitzel!«
»Ich weiß Bescheid«, sagte Louis. »Kann ich deine Tasche sehen?« fügte er hinzu und griff danach.
»Scheiße!« rief Thevenin.
»Du nervst langsam mit deinem ständigen ›Scheiße‹. Marc, gib mir Licht.«
Louis drehte die Tasche um und leerte den Inhalt auf den Kies: Zigaretten, ein Kamm, ein schmutziges Hemd, zwei Konservendosen, eine Wurst, ein Messer, drei Pornohefte, zwei Schlüsselbunde, ein Stück Baguette, ein Korkenzieher, eine Leinenkappe. Alles stank ein bißchen.
»Und deine Gartenschere?« fragte Louis. »Hast du die nicht dabei?«
Thevenin zuckte mit den Achseln.
»Ich habe keine mehr«, sagte er.
»Trennst du dich von deinen Fetischen? Warum hat man dich den ›Schnitter‹ genannt?«
»Der Idiot hat mich so genannt. Der war doch debil. Er hätte eine Dahlie nicht von einem Kürbis unterscheiden können.«
Louis legte die schmuddeligen Gegenstände sorgfältig in die Leinentasche zurück. Er durchwühlte nicht gern anderer Leute Sachen, von wem auch immer. Thevenin nahm erneut einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Bevor er die Pornohefte zurücklegte, blätterte Louis sie rasch durch.
»Das interessiert dich wohl?« fragte Thevenin höhnisch.
»Nein. Ich sehe nach, ob du sie nicht vielleicht durchbohrt hast.«
»Was glaubst du?«
»Steh auf. Hast du einen
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