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Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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auf dem Friedhof von Montparnasse. Ich habe ihn gestern abend getroffen.«
    »Was soll das heißen? Sie wußten es bereits?«
    »Tut mir leid.«
    »Sie wußten es bereits und haben mich diesen Typen für nichts und wieder nichts suchen lassen?«
    »Mein Mitarbeiter hat ihn gestern ausfindig machen können, nachdem ich Sie verlassen hatte.«
    Na, Klasse, dachte Marc erneut. Merlin warf ihm einen trägen Blick zu. Mit herabhängender Lippe sammelte er ein paar Münzen ein, die auf seinem Schreibtisch herumlagen, und begann sie sich mit trägem Blick zwischen die Finger zu klemmen. Dann ließ er die vier Münzen mit einer raschen Bewegung in seine hohle Pfote fallen. Sofort wiederholte er das Ganze, indem er nun je zwei Münzen zwischen zwei Finger steckte. Interessiert sah Marc zu und vergaß ganz seine geplante Rolle.
    »Sie hätten wenigstens die Höflichkeit besitzen können, mir Bescheid zu geben«, sagte Merlin und ließ die gelben Münzen in die andere Hand gleiten.
    »Tut mir leid«, wiederholte Louis. »Seit dem dritten Mord habe ich nicht mehr daran gedacht. Ich bitte Sie um Entschuldigung.«
    »Schon gut«, erwiderte Merlin, der sich erhob und die Münzen in seiner Hosentasche verschwinden ließ. »Was ist mit dem dritten Mord? Hat die Polizei Vauquer identifiziert?«
    In diesem Moment setzte im Hof das Dröhnen der Schleifmaschine ein. Merlin schloß kurz die Augen. Ganz der ergebene und bedrückte Kopf von Bufo, wenn Louis sie ins Café mitnahm und sie auf die Scheibe des Flippers setzte. Marc nutzte die Gelegenheit, stand auf und murmelte ein paar verantwortungsbewußt klingende Worte von wegen eines Anrufes, den er mit seinem Handy erledigen müßte, und verdrückte sich. Im Hof war ihm wohler. Paul Merlin verbreitete Langeweile und den Geruch von Seife, und er hatte nicht die geringste Lust, über die Perversionen von Sexualstraftätern ausgefragt zu werden. Die Fenster der Werkstatt, in der der Schwiegervater arbeitete, waren zum Hof hin weit geöffnet. Marc klopfte höflich, bis Ruhe eintrat, und fragte ihn, ob er wohl die Freundlichkeit hätte, auf seine Rückkehr zu achten. Er habe einen Anruf zu erledigen und wolle Paul Merlin nicht nochmals stören, indem er klingelte. Der Alte hatte ein Stück Holz zwischen die Knie geklemmt und bedeutete ihm, sich keine Sorgen zu machen.
    Als Marc auf der Straße stand, zog er sein graues Jackett aus, rieb sich die Beine und ging ein paar Minuten auf und ab, so lange, wie es ihm für das Telefonat eines vielbeschäftigten Mannes angemessen erschien. Beim Hinausgehen hatte er einen kurzen Blick in die Werkstatt werfen können. Er hatte ein ungeheures Durcheinander gesehen, Berge von Werkzeugen, Schachteln, Brettern, Holzstücken, Sägemehl und Hobelspänen, Zeitungen, Fotos, Bücherstapel, einen verdreckten Wasserkessel und Dutzende von kleinen Holzstatuen in Tischhöhe, die auf dem Boden und in Regalen aufgereiht standen. Dutzende von kleinen Frauen aus Holz, nackt, sitzend, kniend, denkend oder andeutungsweise flehend. Langsam ging er durch den kleinen Hof zurück und steckte den Kopf durch das Fenster, um sich zu bedanken. Der Alte bedeutete ihm erneut, er solle sich keine Sorgen machen, und setzte seine Schleifmaschine wieder in Gang. In einer großen Staubwolke glättete er den Rücken einer kleinen Frau aus Holz. Marc besah sich die Skulpturen, die durcheinander auf dem Boden standen. Sie waren sorgfältig und realistisch gearbeitet, aber keine Kunstwerke. Es waren sehr gut gearbeitete kleine Frauen, die für seinen Geschmack viel zu weich und ergeben waren.
    »Ist das immer dieselbe?« schrie er.
    »Was?« schrie der Alte zurück.
    »Die Frau? Ist das immer dieselbe Frau?«
    »Alle Frauen sind immer dieselbe!«
    »Ach so«, bemerkte Marc.
    »Interessiert Sie das?« fragte der Alte, immer noch schreiend.
    Marc nickte, und der Alte bedeutete ihm, keine Hemmungen zu haben und hereinzukommen. Er rief ihm seinen Namen zu - Pierre Clairmont -, und Marc rief seinen zurück. Er ging etwas unbeholfen in der Werkstatt umher und besah sich die sehr unterschiedlichen, plump realistischen Holzgesichter von nahem. Auf den Tischen lagen Dutzende von Frauenfotos, die aus Zeitschriften ausgeschnitten waren, zum Teil vergrößert, zum Teil bekritzelt. Plötzlich trat Stille ein, und Marc wandte sich dem Alten zu, der mit der Arbeit an der Schleifmaschine aufgehört hatte und sich mit einer Hand die weißen Brusthaare kratzte. Mit der anderen hielt er die kleine Statue an

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