Der untröstliche Witwer von Montparnasse
interessante Informationen für ihn, er wollte ihn so bald wie möglich sehen. Louis klemmte den Hörer unters Kinn und rief ihn zurück, er erklärte sich einverstanden, vor dem Abendessen bei Merlin vorbeizukommen. Dann rief er im  ne rouge an und fragte nach Vandoosler dem Älteren. Der Ex-Bulle war noch da und spielte an seinem Tisch Karten. Sonntags saß er ewig im Café, außer wenn er mit Kochen dran war.
»Sag Marc, daß ich ihn in zwanzig Minuten abhole«, erklärte Louis. »Ich hupe vor dem Tor. Nein, wir fahren nicht weit, nur zu Merlin, aber ich brauche ihn wirklich. Ach, Vandoos, sag ihm vor allem, er soll sich was Förmliches anziehen, gebügeltes Hemd, Jackett, Krawatte. Ja, genau ... Ich weiß es nicht ... Sieh zu, wie du zurechtkommst.«
Louis hängte ein und aß neben dem Telefon stehend sein Stück Brot zu Ende. Dann sah er im Bad nach Bufo und zog sich um. Seinen besten Anzug hatte er auf dem Friedhof von Montparnasse versaut. Er wählte etwas weniger Strenges. Um sieben Uhr zwanzig las er Marc auf, der mit mißmutigem Gesicht in der Rue Chasle auf ihn wartete.
»Du siehst gar nicht übel aus«, sagte Louis und musterte Marc, der ins Auto stieg.
»Das hatte ich zum Examen an«, bemerkte Marc mit gerunzelter Stirn. »Die Krawatte ist natürlich von Lucien. Mir ist zu warm, es kratzt an den Beinen, und ich sehe aus wie ein Idiot.«
»Aber das muß sein, um in der Rue de l'Université durch das Hoftor zu kommen.«
»Ich weiß nicht, was du von mir erwartest«, fuhr Marc schimpfend fort, während das Auto in Richtung Boulevard des Invalides fuhr, »aber du tust gut daran, schnell zu machen. Ich habe Hunger.«
Louis hielt an.
»Kauf dir da an der Ecke ein Sandwich«, sagte er.
Fünf Minuten später kam Marc noch immer mißmutig zurück zum Auto.
»Beklecker dich nicht«, bemerkte Louis und fuhr wieder los.
»Heute abend ist Mathias mit Kochen dran, es gibt Omelett mit Kartoffeln.«
»Das tut mir leid«, sagte Louis aufrichtig. »Aber ich brauche dich.«
»Interessiert dich Merlin?«
»Er nicht, aber der Alte. Du kommst mit mir zu Merlin hinauf, und wenn das Gespräch begonnen hat, dann gehst du unter irgend einem Vorwand raus. Unten im Hof hockt der Schwiegervater und arbeitet mit ohrenbetäubenden Maschinen, ich hab's dir ja erzählt. Sieh zu, daß du mit ihm ins Gespräch kommst, rede mit ihm, rede von Nevers, von dem Institut.«
»Warum nicht von der Vergewaltigung, wo du schon dabei bist?« fragte Marc und verzog das Gesicht.
»Stimmt, warum eigentlich nicht?«
Marc sah Louis an.
»Woran denkst du?«
»An den dritten Vergewaltiger. Der Überfall hat im hinteren Teil des Parks stattgefunden, nicht weit von der Tischlerei des Schwiegervaters entfernt. Angeblich hat er nichts gehört. Nach Clements Aussage war der dritte Mann um die Sechzig, und nach Merlins Aussage hat sich sein Schwiegervater an alle Frauen und Mädchen des Instituts rangemacht.«
»Was erwartest du dir eigentlich genau von mir?«
»Daß du was rauskriegst. Bleib bei ihm, bis ich wieder runterkomme. Das gibt mir einen Vorwand, mir seine Werkstatt anzusehen.« Marc seufzte und wandte sich kauend ab.
Merlin empfing sie so herzlich, wie seine gute Erziehung es ihm erlaubte, und Louis war glücklich, den sympathischen Krötenkopf wiederzusehen. Marc dagegen war überrascht.
»Du brauchst nicht lange zu überlegen«, flüsterte Louis ihm zu. »Er erinnert an Bufo.«
Marc stimmte mit einem Blinzeln zu und setzte sich, wobei er versuchte, sein Jackett nicht zu verknautschen. Merlin wirkte etwas ungeduldig. Er warf Marc einen irritierten Blick zu.
»Einer meiner Mitarbeiter«, sagte Louis selbstbewußt. »Spezialist für Sexualdelikte. Ich glaube, er könnte uns behilflich sein.«
Na, Klasse, dachte Marc und knirschte leise mit den Zähnen. Merlin sah ihn mit leicht indigniertem Blick an, und Marc bemühte sich, eine gelassene und verantwortungsbewußte Haltung einzunehmen, was ihm nicht leichtfiel.
»Ich habe ihn gefunden«, sagte Merlin und wandte sich an Louis. »Ich habe den ganzen Tag am Telefon verbringen müssen, aber ich habe ihn gefunden.«
»Den ›Schnitter‹?«
»Ganz genau! Es war wirklich nicht einfach. Aber jetzt haben wir ihn, das ist die Hauptsache. Er wohnt in Montrouge, in der Rue des Fusilles 29.«
Zufrieden ging Merlin um seinen Schreibtisch herum und ließ sich schwer in seinen Sessel fallen, wie eine Kröte, die in ihren Tümpel zurückkehrt.
»Ja«, sagte Louis. »Und er arbeitet
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