Der untröstliche Witwer von Montparnasse
hinten auf seinen Stuhl fallen.
»Ich höre«, sagte er.
»Er heißt Clement Vauquer. Merk dir den Namen, Clement Vauquer. Ein junger Typ aus Nevers.«
»Wer hat dich informiert?«
»Ein Wirt aus Nevers. Gestern.«
Louis atmete tief durch. Pouchet hatte dichtgehalten.
»Alles paßt«, fuhr Loisel fort. »Der Typ hat seine Stadt vor etwa einem Monat plötzlich verlassen.«
»Weshalb?«
Loisel hob ratlos die Hände.
»Alles, was ich sagen kann, ist, daß es sich um einen ziemlichen Hungerleider handelt, der mehr schlecht als recht vom Akkordeonspielen lebt. Du siehst, was für einer das ist. Angeblich kann er ganz gut spielen, aber ich mag kein Akkordeon. Abgesehen von diesem Talent ist er wohl geistig minderbemittelt.«
»Ist er nach Paris gekommen, um zu spielen ... oder um zu morden?«
»Das, mein Lieber ... Bei Minderbemittelten sollte man sich nicht allzuviele Fragen stellen.«
»Was weißt du noch?«
»Er soll im Hotel des Quatre-Boules im 11. Arrondissement abgestiegen sein, aber der Hotelbesitzer ist sich nicht ganz sicher. Wir suchen noch. Eine Frage von Tagen. Das Netz ist gespannt, er wird sich nicht mehr lange halten können.«
»Nein«, erwiderte Louis zustimmend, »das sehe ich genauso. Aber auch mehrere Tage sind eine ziemlich lange Zeit. Du gehst das Risiko ein, bis Freitag ein nächstes Opfer am Hals zu haben.«
»Ich weiß«, sagte Loisel und runzelte die Stirn. »Ich kann zählen. Und im Ministerium will man kein viertes Opfer.«
»Das Ministerium ist nicht wichtig.«
»Nein?«
»Nein. Es geht um die nächste Frau.«
»Natürlich«, erwiderte Loisel etwas verärgert. »Aber bis dahin haben wir ihn. Er wird sein Versteck nicht geheimhalten können. Es wird auffliegen. Es gibt immer einen Dummen, der einen Fehler macht, darauf kannst du dich verlassen.«
»Sicher«, sagte Louis und mußte an Lucien denken. »Ich habe eine Fährte, die ich dir erläutern wollte. Mach daraus, was du willst.«
Loisel sah ihn aufmerksam an. Er wußte, daß die Fährten des Deutschen nie zu verachten waren. Louis hatte sein Buch aus der hinteren Hosentasche genommen und blätterte darin.
»Da ist es«, sagte er und zeigte auf die erste Strophe von El Desdichado. »Lies. Die ersten drei Straßennamen sind da drin. Der nächste Mord müßte an der ›Schwarzen Sonne‹ stattfinden. Also in der Rue du Soleil, der Rue du Soleil d'or oder der Rue de la Lune.«
Mit gerunzelter Stirn las Loisel die wenigen Verse, besah sich den Umschlag des Buches und wandte sich wieder den Versen zu, die er noch einmal las.
»Was ist das für ein Quark?« fragte er schließlich.
»Ich will dir die Worte nicht in den Mund legen«, sagte Louis sanft.
»War es das, was du mir sagen wolltest, als du das erste Mal gekommen bist?«
»Ja«, log Louis.
»Warum hast du dann nichts davon erwähnt?«
»Ich habe gedacht, es sei dummer Intellektuellenquark.«
»Hast du deine Meinung inzwischen geändert?«
Louis seufzte.
»Nein. Wir haben zwar einen Mord mehr, der in das Schema paßt, aber ich habe meine Meinung nicht geändert. Trotzdem kann ich mich täuschen. Du könntest die Dinge ja anders sehen - deshalb vertraue ich dir diese Idee an. Vielleicht wäre es sinnvoll, die drei Straßen zu überwachen, die ich dir genannt habe.«
»Ich danke dir für deine Hilfe«, sagte Loisel und legte das Buch auf den Tisch. »Ich bin froh, Kehlweiler, daß du mit offenen Karten spielst.«
»Aber das ist doch normal«, antwortete Louis in etwas gemessenerem Ton.
»Aber weißt du«, fügte der Kommissar hinzu und pochte auf den Buchumschlag, »ich glaube an solche Spitzfindigkeiten nicht. So schnell sieht man keinen Mörder geistreiche Spielchen spielen und dichterische Morde verzapfen, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Besser, als du glaubst.«
»Schade, es war ziemlich pfiffig. Sei mir nicht böse.«
»Nicht im geringsten. Es war auch nur, um mein Gewissen zu beruhigen«, sagte Louis, während er an Clement dachte, wie er dabei war, in seinem Versteck mit lauter Deppen Mau-Mau zu spielen. »Du weißt, wie das ist.«
Über den Tisch hinweg drückte Loisel ihm kräftig die Hand.
27
Auf dem Anrufbeantworter war eine Nachricht von Paul Merlin, dem Krötenmann. Louis hörte sie von der Küche aus, während er sich ein großes Stück Brot abschnitt, das er mit allem belegte, was er im Kühlschrank finden konnte, hauptsächlich hart gewordenem Käse. Es war noch nicht einmal sieben, aber er hatte Hunger. Merlin hatte
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