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Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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einem Schenkel.
    »Machen Sie nur Frauen?« fragte Marc.
    »Gibt es denn etwas anderes? Sagen Sie's nur, wenn Sie Vorschläge haben. Was gibt es anderes?«
    Marc zuckte mit den Schultern.
    »Was gibt es anderes?« wiederholte der Alte und kratzte sich weiter an der Brust. »Schiffe? Kirchen? Bäume? Obst? Stoffe? Wolken? Hirschkühe im Wald? Es sind alles Frauen, so oder so. Sie werden das nicht abstreiten, wenn Sie auch nur ein bißchen helle sind. Symbole können mir gestohlen bleiben. Da mache ich lieber gleich Frauen.«
    »So gesehen ...«, bemerkte Marc.
    »Kennen Sie sich mit Skulpturen aus?«
    »Nicht allzusehr.«
    Der Alte schüttelte den Kopf, zog eine Zigarette aus der Tasche seines offenen Hemds und zündete sie an.
    »Na ja, bei Ihrem Beruf haben Sie zwangsläufig nicht viel Sinn für Poesie.«
    »Was für einem Beruf?« fragte Marc und setzte sich.
    »Zigarette?«
    »Ja, danke.«
    »Ich würde sagen, Polizei oder so was. Nichts Feinsinniges halt.«
    Na, Klasse, wiederholte sich Marc. Seine Gedanken wanderten zu den Pachtverträgen des 13. Jahrhunderts, die ihn auf seinem Schreibtisch erwarteten. Was hatte er eigentlich mit seinem kratzenden Anzug hier verloren, warum mußte er sich mit diesem heiteren, leicht angriffslustigen Alten herumärgern? Ach so, ja, Marthe. Die Puppe von Marthe.
    »Sie interessieren sich für Frauen erst, wenn sie tot sind«, fuhr der Alte fort. »Keine sehr belebende Sichtweise.«
    Sicher, dachte Marc. Er beschäftigte sich sogar mit Millionen von toten Individuen. Der Alte hatte aufgehört, sich zu kratzen, und streichelte mechanisch den Schenkel der Holzstatue. Wieder und wieder strich er mit seinem runzligen Daumen über das Holz, und Marc wandte den Blick ab.
    »Wie kommen Sie zum Beispiel darauf, dieses grauenhafte Drama im Institut wieder auszugraben?« fragte der Alte. »Haben Sie nichts zu tun, oder was?«
    »Wissen Sie Bescheid?«
    »Paul hat mir gestern davon erzählt.«
    Clairmont spuckte mißbilligend ein paar Tabakkrümel auf den Boden. Dann wandte er sich wieder dem Schenkel seiner kleinen Statue zu.
    »Haben Sie etwas dagegen?« fragte Marc.
    »Paul mochte diese Nicole sehr - die Frau, die da gestorben ist. Er hat Jahre gebraucht, um darüber hinwegzukommen. Und da Sie kreuzen Sie eines schönen Abends einfach so auf. Aber so sind die Bullen: alles kaputtmachen, Existenzen vernichten. Das haben sie im Blut, nicht? Radau, Krawall! Die müssen unbedingt alles verwüsten wie eine Heerschar von roten Waldameisen. Und wofür? Für nichts! Nur Wind! Sie werden die beiden Vergewaltiger nie finden!«
    »Wer weiß?« sagte Marc träge.
    »Es hat damals keine Beweise gegeben, und es gibt heute erst recht keine mehr«, erklärte Clairmont kategorisch. »Die alten Sachen sollte man auf sich beruhen lassen.«
    Er erhob sich halb von seinem Schemel und bückte sich unter den Tisch, wo er geräuschvoll in seinen Holzkisten wühlte und eine Statue an der Schulter packte. Er stellte sie schwungvoll auf den Boden zwischen sich und Marc.
    »Da ist sie, die arme Frau«, sagte er. »Ich habe sie sogar in Bronze gießen lassen, damit sie auf immer weiterlebt.«
    In diesem Augenblick betrat Louis die Werkstatt, stellte sich vor und schüttelte dem Bildhauer die Hand.
    »Ihr Kollege ist mit künstlerischem Feingefühl nicht gerade gesegnet«, sagte ihm Clairmont ohne weitere Vorreden. »Ich weiß nicht, ob Sie vom selben Schlag sind, aber ich bedaure Sie.«
    »Vandoosler ist ein Experte«, erwiderte Louis lächelnd. »Er beschäftigt sich ausschließlich mit Sexualpathologie, und das bringt ihn nicht gerade zum Träumen. Wir sind nicht alle so versierte Experten.«
    Marc warf dem Deutschen einen dumpfen Blick zu.
    »Sexualpathologie, was?« sagte Clairmont langsam. »Sind Sie deswegen zu mir gekommen, was? Was braut sich jetzt in Ihrem Expertenhirn zusammen? Was sagen Sie da zu sich selbst? Der alte Clairmont, der den lieben langen Tag an seinen kleinen Frauen rumfummelt, der hat nicht mehr alle Tassen im Schrank, ein richtiger Besessener?«
    Marc schüttelte den Kopf, während er den Daumen wieder und wieder über den hölzernen Schenkel streichen sah. Louis berührte flüchtig den Kopf der kleinen Statue, die vor Clairmonts Füßen stand.
    »Reden Sie von der da?« fragte er.
    »Genau«, erwiderte der Alte. »Das ist die, für die Sie sich interessieren, die Frau aus dem Institut, das ist Nicole Verdot.«
    Louis hob die kleine, kniende Frau vorsichtig an den Armen hoch.
    »Ist sie

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