Der untröstliche Witwer von Montparnasse
Miete.
»Verschwinde, Bufo«, sagte Louis und packte sie vorsichtig, »du überschreitest deine Rechte einer Amphibie. Wer sagt dir, daß ich nicht jemanden erwarte? Keine in eine mistige Kröte wie du verwandelte Prinzessin, nein, eine richtige, schöne Frau, die nur mich allein lieben würde? Du lachst? Du hast unrecht, Bufo. Das kann vorkommen. Eine richtige, schöne Frau, die auf ihren beiden Beinen steht, nicht so ein resigniertes Mädchen auf den Knien vor ihrem Bezwinger, wie der alte Clairmont sie sich schnitzt. Alles in allem hast du gut daran getan, nicht mitzukommen, du hättest den Typ nicht gemocht. Du hast eine zu reine Seele, genau wie Marc. Allerdings glaube ich, daß du leicht Sympathie für Merlin empfinden würdest, er ist deinem Großvater wie aus dem Gesicht geschnitten, und vor allem hat er einen phantastischen Sancerre im Keller. Wie dem auch sei: Wenn das besagte schöne Geschöpf heute abend hier ankommt, dann versuch dich ein bißchen liebenswürdiger zu zeigen als damals gegenüber Sonia. Erinnerst du dich nicht mehr an Sonia? Das Mädchen, das letztes Jahr hier gewohnt hat und der du fünf Monate lang ein Gesicht gezogen hast? Sonia ist ausgezogen, sie hat dich nicht gemocht. Mich hat sie auch nicht gemocht.«
Louis setzte Bufo hinter dem Großen Larousse ab.
»Und versuch nicht, das alles zu lesen, es bringt dir nur Ärger ein.«
Er machte das Licht aus und ließ sich aufs Bett fallen. Er versuchte, an das hypothetische Geschöpf zu denken, das ihn diese Nacht besuchen könnte, aber er merkte sehr schnell, daß er an diesem Abend nicht so leicht einschlafen würde. Das Herz schlug ihm bis in die Füße, und die Bilder zogen viel zu rasch in seinem Kopf vorüber. Mist. Er streckte sich auf dem Rücken aus, die Arme entlang dem Körper ausgestreckt, aber die Gesichter der drei ermordeten Frauen setzten ihm zu. Paule, die letzte, warf ihm vor, nichts für sie getan und über die Rue de l'Etoile gelacht zu haben. Er erklärte ihr in aller Ruhe, daß sie zu dem Zeitpunkt, als Lucien Devernois ihm seine poetische Theorie auftischte, sicher bereits tot gewesen sei. Ihm war zu warm, und wütend schob er seine Steppdecke zurück. Inzwischen war die vierte Frau aufgetaucht, die Frau, die bis spätestens Freitag unter den Händen des Mörders ihren Geist aushauchen würde; sie kniete und flehte wie die Statuetten des alten Clairmont. Ihre Züge waren unklar und anrührend, und Louis vertrieb sie mit Müh und Not. Sofort tauchte sie, umgeben von allen Holzgesichtern der Figuren Clairmonts, wieder auf. Louis begann, sie erneut zu vertreiben, und versuchte erfolglos, auf dem Bauch liegend einzuschlafen. Ein bißchen gegen seinen Willen fand er sich damit ab, eine Einschlaftechnik zu versuchen, die Marc ihn gelehrt hatte; sie beruhte im wesentlichen auf dem einfachen Prinzip des Widerspruchsgeistes, Marc nannte sie das System der ekligen kleinen Teufel: Der Mensch weigert sich einzuschlafen, wenn er soll, schläft aber sofort ein, sobald man es ihm verbietet. Die Methode besteht folglich darin, die Augen ständig weit geöffnet zu halten, indem man ohne zu erlahmen einen bestimmten Punkt an der Zimmerwand fixiert. Wenn man unglücklicherweise die Augen schließt, tauchen sofort Hunderte von kleinen Teufeln aus diesem neuralgischen Punkt auf und fressen einen auf, es kommt also gar nicht in Frage, die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen. Nach Marcs Ansicht stellte sich in maximal zehn Minuten unwiderstehlicher Schlafzwang ein - außer man hatte die unsinnige Idee, die ekligen kleinen Teufel durch kleine Feen zu ersetzen, was dann endgültig verhinderte, daß man Schlaf fand. Louis vertrieb die Holzfrauen ein drittes Mal und fixierte mit weit aufgerissenen Augen das Schlüsselloch der Tür, um die mögliche Flut der Teufelchen zurückzuhalten. Einen Augenblick lang glaubte er, die Methode würde tatsächlich funktionieren, aber die Holzfrauen kämpften voller Erbitterung und veranstalteten ein Gemetzel unter den kleinen Teufeln auf der anderen Seite der Tür. Angewidert und enttäuscht streckte Louis einen Arm Richtung Lampe aus, setzte sich und trank ein paar Schluck Wasser. Es war fast drei Uhr. Da konnte er sich auch gleich ein Bier aufmachen. Louis tastete sich in die Küche, machte das Licht an und setzte sich mit einer Bierflasche an den Tisch. Das beste Mittel wäre vielleicht, sich wieder an Bismarcks Leben zu machen und herauszufinden, ob der Kanzler in jenem Mai 1874 nun verärgert
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