Der unwiderstehliche Mr Sinclair
sie nur an ihrer Schönheit gemessen worden.
Sicher, Shirley war eine wirkliche Freundin, aber diese Freundschaft war nicht so bedeutsam wie die Tatsache, dass ein Mann, ein Mann wie Taylor, die Frau hinter der Fassade erkannte und begehrte.
Für ihren Ehemann, ja, selbst für ihre Mutter, war sie ein Objekt gewesen. Ein Mittel zum Zweck, das man getrost ausrangieren konnte, wenn es nicht zum gewünschten Erfolg führte.
Und jetzt?
Jetzt gab es Taylor.
“Es ist alles so kompliziert und verwirrend”, sagte Janice laut.
Plötzlich merkte sie, wie erschöpft sie war. Sie fühlte sich ausgelaugt und so müde, dass sie Mühe hatte, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Sie schloss die Haustür ab, löschte das Licht und legte sich ins Bett, wo sie sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.
Am nächsten Morgen saß Janice auf ihrer Terrasse und sah zu, wie die beiden Kolibris den Sirup genossen, den sie ihnen zum Frühstück serviert hatte. Sie umflatterten den Spender, blieben immer dicht zusammen und bedienten sich abwechselnd am Spender. Es war ein immer gleiches Ritual, das nur sie beide kannten.
Wie seltsam, dachte Janice, als sie einen Schluck Tee nahm.
Bisher hatte sie die winzigen Vögel als zwei eigenständige Wesen betrachtet. Jetzt sah sie die beiden als ein Paar, das auf seine Art einen Bund fürs Leben geschlossen hatte, um sich gemeinsam daran zu erfreuen.
Janice seufzte.
Sie fühlte sich aus der Bahn geworfen, als wäre ihre bislang so wohl geordnete kleine Welt plötzlich auf den Kopf gestellt worden. So viel hatte sich geändert, seit Taylor in ihr Leben getreten war.
Sie stellte die Tasse zurück auf den Tisch und legte die Hände um die Ellbogen, als müsste sie sich wärmen und schützen.
Die Wände, die sie in all den Jahren um sich errichtet hatte, bröckelten und wankten, weil Taylor sie langsam, aber sicher einzureißen begann.
Das hier war so gefährlich, so dumm und falsch. Wenn sie dieser Sache keinen Einhalt gebot, würde sie bald wehrlos sein und sich nicht mehr vor einem gebrochenen Herzen bewahren können.
Am liebsten würde sie einfach davonlaufen, so weit wie möglich, weg von Taylor.
Janice seufzte wieder.
Nein, das stimmte nicht. Sie wollte bleiben und Taylor spüren, seine Küsse, seine Berührungen, sein Lächeln. Sie wollte die Leidenschaft in seinen Augen sehen und hören, wie sehr er sie begehrte. Sie! So wie sie war. Janice, die Frau, die Person, nicht Janice, die hübsch zurechtgemachte Puppe.
“Das reicht”, sagte sie scharf und stand auf. “Ich mache mich selbst verrückt.”
Eine Stunde später war sie bereit, in ihre Boutique zu fahren.
Sie suchte noch rasch nach ihrer Brille und fand sie auf dem Tisch im Wohnzimmer, wo Taylor sie am Abend zuvor hingelegt hatte. Sie hob sie auf und zögerte.
Es war wirklich eine Erleichterung gewesen, das schwere Gestell nicht auf der Nase zu haben. Vielleicht war die Brille überflüssig. Das Haar trug sie wieder in dem üblichen strengen Knoten, außerdem ein zu weites marineblaues Kostüm und passende Schnürschuhe.
Was sollte sie tun? Unentschieden starrte sie auf die Brille.
“Nein”, sagte sie, bevor sie in die Küche marschierte und die Brille in den Abfalleimer warf.
Auf die Brille zu verzichten war keine Wende in ihrem Leben. Nein, sie hatte einfach nur Mitleid mit ihrer Nase. Sie würde sich nicht in eine atemberaubende Schönheit verwandelt, nur weil sie sie nicht trug.
Wahrscheinlich würde niemand bemerken, dass sie sie abgelegt hatte.
“Danke”, sagte Janice lächelnd.
Die großmütterliche Frau strahlte sie an. “Nein, Liebes, danken Sie nicht mir, sondern sich selbst. Dafür, dass Sie ab jetzt Kontaktlinsen und keine schwere Brille mehr tragen. Sie haben sich ein wunderbares Geschenk gemacht. Findest du nicht auch, Ginger?”
“Oh ja, Clara”, erwiderte ihre Freundin. “Sie haben so hübsche Augen, Janice. Ab jetzt werden Sie die Welt mit anderen Augen sehen, glauben Sie mir. Das alte Nasenfahrrad wird Sie nicht mehr stören.”
“So habe ich … es noch nie gesehen”, gestand Janice. “Ein Geschenk an mich selbst?”
“Natürlich”, erwiderte Ginger. “Wir sollten unsere Vorzüge immer nur herausstellen, damit wir uns an unserem Anblick erfreuen. Wenn andere das auch tun, um so besser.” Sie lachte fröhlich. “Bei mir hat das nicht mehr viel Sinn, aber ich war mal eine Schönheit, nicht wahr, Clara?”
“Das warst du”, bestätigte Clara. “Aber noch wichtiger, du
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