Der unwiderstehliche Mr Sinclair
warst meine beste Freundin. Und das bist du noch immer. Du warst atemberaubend, Ginger, wirklich atemberaubend.”
“Und ich habe es ausgekostet”, sagte Ginger. “Ich war hinreißend und wusste es. Und als mein Homer in mein Leben trat und ihm gefiel, was er sah, war mir klar, was für ein intelligenter und einfühlsamer Mann er war.”
“Aber haben Sie…” begann Janice. “Haben Sie sich denn nicht gefragt, ob Homer sich mehr von Ihrem Aussehen als von Ihrer Persönlichkeit angezogen fühlte?”
“Du meine Güte, nein”, entgegnete Ginger. “Weil ich wusste, wer ich war. Außerdem haben Homer und ich uns auf allen Ebenen verstanden. Was wir aneinander hatten, beruhte nicht auf Äußerlichkeiten. Verstehen Sie, was ich meine, Janice?”
“Ich glaube schon”, antwortete Janice stirnrunzelnd.
“Auf jeden Fall, Liebes”, fuhr Ginger fort, “sollten Sie Ihre ausdrucksvollen Augen nie wieder hinter einer scheußlichen Brille verstecken. Genießen Sie einfach, was die Natur Ihnen geschenkt hat.”
“Ginger, sieh dir an, wie spät es ist”, sagte Clara. “Wir wollten uns nur kurz etwas Lotion holen. Jetzt kommen wir zu spät zum Tee mit Homer und Franklin. Komm schon. Auf Wiedersehen, Janice, bis bald.”
“Bis bald”, erwiderte sie. “Und danke.”
Die beiden Frauen verließen Sleeping Beauty, und Janice setzte sich auf den Hocker an der Kasse. Sie stützte die Ellbogen auf den Tresen und legte das Kinn auf die Hände.
Clara und Ginger waren die sechzehnte und siebzehnte Kundin des Tages, und bisher hatte jede ein Kompliment über ihre Augen gemacht.
Keine war so weit gegangen, auch noch einen Kommentar über ihre Garderobe oder Frisur abzugeben. Aber alle hatten ihr gesagt, was für hübsche Augen sie hatte.
Janice freute sich darüber. Die Frauen hatten spontan ausgesprochen, was sie dachten. Es war schlicht, offen und ehrlich gewesen.
“Und verwirrend”, entfuhr es ihr.
Und dann hatte Ginger ihr noch geraten, ihre äußerlichen Vorzüge einfach zu genießen. Denn wenn ein Mann und eine Frau sich auf allen Ebenen verstanden, was das Äußerliche nur ein zusätzliches Geschenk der Natur.
An Gingers Theorie musste etwas Wahres sein. Schließlich waren Ginger und Homer noch immer zusammen, obwohl sie die Jahre der jugendlichen Frische längst hinter sich hatten.
Janices Mutter hatte das ganz anders gesehen. Für sie war die Schönheit alles gewesen, was eine Frau besaß.
Und heute?
Heute hatten die Leute, die von ihren hübschen Augen schwärmten, sie genauso freundlich und respektvoll behandelt wie mit der hässlichen Brille.
Sie war auch ohne das klobige Gestell auf der Nase die erfolgreiche Managerin, die eine beliebte Boutique führte, und am Verhältnis zur Kundschaft änderte sich trotz des neuen Gesichts gar nichts.
“Erstaunlich”, murmelte Janice.
Verstand sie das richtig? Sie war nicht die Frau mit den hübschen Augen, die Sleeping Beauty führte. Sie war die dynamische Managerin von Sleeping Beauty, die zufällig hübsche Augen besaß.
“Erstaunlich”, wiederholte sie lächelnd. “Und wundervoll.”
Oh nein, dachte sie gleich darauf. Im Moment stürmte so viel Neues auf sie ein. Irgendwie hatte Taylor Sinclair jede Menge Türen in ihrem Leben geöffnet, und es fiel ihr schwer, alles zu verarbeiten.
Taylor Sinclair.
Er war ihr den ganzen Tag nicht aus dem Kopf gegangen. Er und die Küsse, die Leidenschaft, das Verlangen, der Wunsch, sämtliche Hemmungen abzulegen und sich dem hinzugeben, wonach sie sich insgeheim sehnte.
“Das ist zu viel”, flüsterte sie. “Zu viel auf einmal.”
Bleib ruhig, befahl sie sich. Sie hatte noch immer alles im Griff. Sie würde es schaffen.
Wirklich?
“Ach, hör auf”, sagte sie und glitt vom Hocker. “Geh und leg einen Teddy zusammen.”
Am Abend rief Taylor Janice an, um sie daran zu erinnern, dass sie für die Fährt nach Prescott einen Pullover einpacken sollte. Sie plauderten eine halbe Stunde lang.
Am Donnerstagabend meldete er sich, um zu fragen, ob sie sich schon entschieden hatte, welche Sachen aus ihrem Warenangebot sie Andrea und Brandon zeigen wollte. Das Gespräch dauerte eine Stunde.
Am Freitagabend rief er an, um zu bestätigen, dass er sie am nächsten Vormittag um zehn abholen würde. Zwei Stunden später legte sie lächelnd auf.
Der Gesprächsstoff geht uns nie aus, dachte sie, als sie sich zum Schlafengehen fertig machte. Harmloses, lustiges Geplauder, mit dessen Hilfe man sich besser kennen
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