Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats
behauptet Kovalevsky, der von Tacitus geschilderte Zustand habe nicht die Mark- oder Dorfgenossenschaft, sondern die Hausgenossenschaft zur Voraussetzung; erst aus dieser letzteren habe sich dann viel später, in Folge des Anwachsens der Bevölkerung, die Dorfgenossenschaft entwickelt.
Hiernach hätten die Ansiedlungen der Deutschen auf dem zur Römerzeit von ihnen besetzten, wie auf dem den Römern später abgenommenen Gebiet nicht aus Dörfern bestanden, sondern aus großen Familiengenossenschaften, die mehrere Generationen umfaßten, eine entsprechende Landstrecke unter Bebauung nahmen, und das umliegende Oedland mit den Nachbarn als gemeine Mark nutzten. Die Stelle des Tacitus vom Wechseln des bebauten Landes wäre dann in der That im agronomischen Sinn zu fassen: Die Genossenschaft habe jedes Jahr eine andre Strecke umgeackert und das Ackerland des Vorjahrs brach liegen oder wieder ganz verwildern lassen. Bei der dünnen Bevölkerung sei dann immer noch Oedland genug übrig geblieben, um jeden Streit um Landbesitz unnöthig zu machen. Erst nach Jahrhunderten, als die Kopfzahl der Hausgenossen eine solche Stärke erreicht, daß gemeinsame Wirtschaft unter den damaligen Produktionsbedingungen nicht mehr möglich, hätten sie sich aufgelöst; die bisher gemeinsamen Aecker und Wiesen seien in der bekannten Weise unter die sich nunmehr bildenden Einzelhaushaltungen vertheilt worden, anfangs auf Zeit, später ein für alle Mal, während Wald, Weide und Gewässer gemeinsam blieben.
Für Rußland scheint dieser Entwicklungsgang historisch vollständig nachgewiesen. Was Deutschland und in zweiter Linie die übrigen germanischen Länder betrifft, so ist nicht zu läugnen, daß diese Annahme in vieler Beziehung die Quellen besser erklärt und Schwierigkeiten leichter löst, als die bisherige, die die Dorfgemeinschaft bis zu Tacitus zurückreichen läßt. Die ältesten Dokumente z. B. des Codex Laureshamensis erklären sich im Ganzen weit besser mit Hülfe der Hausgenossenschaft als der Dorfmarkgenossenschaft. Andrerseits eröffnet sie wieder neue Schwierigkeiten und neue, erst zu lösende Fragen. Hier können nur neue Untersuchungen Entscheidung bringen; ich kann jedoch nicht läugnen, daß die Zwischenstufe der Hausgenossenschaft auch für Deutschland, Skandinavien und England sehr viele Wahrscheinlichkeit für sich hat.
Wahrend bei Cäsar die Deutschen theils eben erst zu festen Wohnsitzen gekommen sind, theils noch solche suchen, haben sie zu Tacitus Zeit schon ein volles Jahrhundert der Ansässigkeit hinter sich; dem entsprechend ist der Fortschritt in der Produktion des Lebensunterhalts unverkennbar. Sie wohnen in Blockhäusern; ihre Kleidung ist noch sehr waldursprünglich; grober Wollenmantel, Thierfelle, für Frauen und Vornehme leinene Unterkleider. Ihre Nahrung ist Milch, Fleisch, wilde Früchte, und, wie Plinius hinzufügt, Haferbrei (noch jetzt keltische Nationalkost in Irland und Schottland). Ihr Reichthum besteht in Vieh: dies aber ist von schlechter Race, die Rinder klein, unansehnlich, ohne Hörner; die Pferde kleine Ponies und keine Renner. Geld wurde selten und wenig gebraucht, nur römisches. Gold und Silber verarbeiteten sie nicht und achteten seiner nicht, Eisen war selten und scheint wenigstens bei den Stämmen an Rhein und Donau fast nur eingeführt, nicht selbstgewonnen zu sein. Die Runenschrift (griechischen oder lateinischen Buchstaben nachgeahmt) war nur als Geheimschrift bekannt und wurde nur zu religiöser Zauberei gebraucht. Menschenopfer waren noch im Gebrauch. Kurz, wir haben hier ein Volk vor uns, das sich soeben aus der Mittelstufe der Barbarei auf die Oberstufe erhoben hatte. Während aber die an die Römer unmittelbar angrenzenden Stämme durch die erleichterte Einfuhr römischer Industrieprodukte an der Entwicklung einer selbständigen Metall- und Textilindustrie verhindert wurden, bildete sich eine solche im Nordosten, an der Ostsee, ganz unzweifelhaft aus. Die in den schleswigschen Mooren gefundenen Rüstungsstücke – langes Eisenschwert, Kettenpanzer Silberhelm &c., mit römischen Münzen vom Ende des zweiten Jahrhunderts – und die durch die Völkerwanderung verbreiteten deutschen Metallsachen zeigen einen ganz eignen Typus von nicht geringer Ausbildung, selbst wo sie sich an ursprünglich römische Muster anlehnen. Die Auswanderung in das civilisirte Römerreich machte dieser einheimischen Industrie überall ein Ende, außer in England. Wie einheitlich diese Industrie
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