Der Ursprung des Bösen
Die anthrazitgrauen Augen einer Chilenin.
»Ich übertreibe nicht, Anaïs. Das Spiel ist aus.«
Nach der Ankündigung vom vorigen Sonntag wurde es jetzt also ernst. Rückkehr ins traute Heim, und damit basta. Sie hatte Fleury nur unter der Voraussetzung einer überwachten Freiheit verlassen dürfen und tauschte die Gitterstäbe des Gefängnisses gegen den goldenen Käfig ihres Vaters ein.
»Ich habe es dir schon einmal gesagt«, fuhr er fort. »Diese Leute sind nicht zu Scherzen aufgelegt. Sie erfüllen einen Auftrag und repräsentieren ein System.«
»Was für ein System? Erkläre es mir.«
Chatelet seufzte und ließ sich in seinen Sitz zurücksinken. Er schien zu begreifen, dass auch er keine Wahl hatte. Wenn er seine Tochter überzeugen wollte, musste er Klartext mit ihr reden.
Ein plötzlicher Platzregen prasselte auf die Windschutzscheibe nieder. Chatelet öffnete eine Coladose.
»Es gibt kein Komplott«, begann er mit leiser Stimme. »Und auch keine Intrige oder einen Geheimplan, wie du zu glauben scheinst.«
»Ich glaube gar nichts. Ich höre dir zu.«
»Mêtis wurde in den 1960er Jahren von französischen und belgischen Söldnern gegründet. Seither ist viel geschehen. Schon seit Langem hat die Firma nichts mehr mit der ursprünglichen Zielsetzung zu tun, sondern arbeitet auf dem Gebiet der psychotropen Medikamente. Die Wissenschaftler des Konzerns forschen im Bereich des menschlichen Gehirns.
Mêtis ist ein Chemie- und Pharmaziegigant, in etwa vergleichbar mit Hoechst oder Sanofi-Aventis. Man kann wirklich keiner dieser Firmen vorwerfen, Manipulationen an Menschen vorzunehmen.«
»Und wozu dann die Sicherheitsunternehmen?«
»Sie schützen die Produktionsstätten. Eine rein interne Angelegenheit.«
Anaïs hatte die Liste der Kunden der ACSP überprüft und wusste, dass ihr Vater log. Oder sich irrte. Der Sicherheitsdienst war in der gesamten Region tätig.
»Ich habe zwei Männer kennengelernt, die etwas merkwürdige Vorstellungen von der Arbeit eines Sicherheitsdienstes haben.«
»Damit hat Mêtis nichts zu tun. Verantwortlich für dieses Durcheinander sind die Leute, die die ACSP dazu benutzt haben, ihre … ausführenden Organe zu decken.«
Er war also über die Einzelheiten der Angelegenheit informiert. Draußen donnerte es. Der Himmel sah aus, als wäre er aus Granit.
»Und wer soll das sein?«, erkundigte sie sich mit nervöser Stimme.
»Mêtis entwickelt neue Produkte. Anxiolytika, Antidepressiva, Schlafmittel und Neuroleptika. Ehe die Medikamente in die Produktion gehen, werden sie in Labors genau analysiert. Anschließend werden sie ins Arzneibuch eingetragen. So zumindest sieht der normale Ablauf bei einer pharmazeutischen Firma aus.«
»Und was hat das mit den Handlangern der ACSP zu tun?«
Chatelet trank langsam einen Schluck Cola. Er beobachtete die Regentropfen, die grau über die Scheiben rannen. Nur manchmal wurde der triste Anblick durch bunte Flecken unterbrochen – Fabriken, Lagerhäuser, Supermärkte.
»Die Armee behält die Forschungen im Auge, denn das menschliche Gehirn war immer schon ein vorrangiges Ziel, andererseits aber auch eine Waffe, wenn du so willst. Wir haben die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts damit verbracht, Nuklearwaffen zu entwickeln, um sie möglichst nie anwenden zu müssen. Den menschlichen Geist zu kontrollieren ist eine andere Art, Kriege zu verhindern. Frei nach der Erkenntnis von Laotse, dass der größte Sieger derjenige ist, der ohne Kampf gewinnt.«
Anaïs hasste Leute, die Zitate anführten. Für sie war das ein hinterhältiger Trick, sich zur Höhe des zitierten Denkers aufzuschwingen. Doch davon würde sie sich nicht beeindrucken lassen.
»Mêtis hat irgendeine neue Substanz entdeckt.«
»Nicht Mêtis, sondern eines der angeschlossenen Labors. Es gehört zu einer Forschungsgruppe, deren Aktionär Mêtis ist.«
»Und wie heißt dieses Labor?«
»Das weiß ich nicht.«
»Hältst du mich für blöd?«
»Es käme mir nie in den Sinn, meine Familie zu beleidigen. In den Sitzungen, an denen ich teilnehme, werden solche Einzelheiten nicht besprochen. Ich weiß nur, dass sich das Labor irgendwo in der Vendée befindet und klinische Blindversuche durchführt, die in aller Regel zu nichts taugen.«
»Ein Serum, das eine Spaltung des Geistes hervorruft? Das soll nichts taugen?«
»Zumindest hat man es uns so vermittelt. Tatsächlich ist diese Substanz nicht sehr stabil, und ihre Auswirkungen sind daher nicht zu
Weitere Kostenlose Bücher