Der Ursprung des Bösen
Elysée-Montmartre. Und wieder einmal eine Schlägerei. Er hatte zwei Gramm Heroin bei sich und kam in die Ausnüchterungszelle des Kommissariats Rue de la Goutte-d’Or. Zunächst behielt man ihn in Polizeigewahrsam, aber nach achtzehn Stunden kam er auf richterliche Anordnung wieder raus.«
»Keine Anklage?«
»Zwei Gramm gelten als persönlicher Bedarf.«
»Und danach?«
»Nichts mehr bis zur Reparaturgrube. Wir können davon ausgehen, dass er etwa Ende Januar wieder zurückkam.«
Es machte keinen Sinn, seinem Leben als Außenseiter genauer nachzugehen. Nur die letzten Tage zählten. Duruy hatte seinen Mörder, der vermutlich nicht zur Szene gehörte, erst kurz vor seinem Tod kennengelernt.
»Hast du von den anderen gehört?«
»Jaffar hat die Nacht bei den Tippelbrüdern verbracht.«
Bei dieser Nachricht wurde Anaïs warm ums Herz. Entgegen ihren Anordnungen waren weder Le Coz noch Jaffar zum Schlafen nach Hause gegangen. Einer für alle, alle für sie …
»Hat er irgendwas herausgefunden?«
»Nicht viel. Duruy war nicht besonders kontaktfreudig.«
»Die Obdachlosenhilfe? Die Tafeln?«
»Darum kümmert Jaffar sich jetzt gerade.«
»Und Conante? Was ist mit den Videos?«
»Er ist an der Sache dran. Bis jetzt allerdings ohne Erfolg. Duruy taucht auf keinem einzigen Band auf.«
»Was ist mit Zak?«
»Keine Ahnung. Er soll sich um die Dealer kümmern. Offenbar hast du ihn gebeten, diese Aufgabe zu übernehmen.«
Le Coz wirkte bei dieser Feststellung ziemlich reserviert, doch Anaïs hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Ihr war eine Idee gekommen.
»Ruf Jaffar an und sag ihm, er soll nach dem Hund forschen.«
»Nach dem Hund? Wir haben schon alle Tierheime angerufen. Von dem Köter gibt es nicht die geringste Spur. Wir kennen ja noch nicht einmal seine Rasse. Vermutlich ist er mausetot und längst irgendwo verbuddelt.«
»Fragt alle Metzger. Erkundigt euch auf den Märkten oder im Fleischgroßhandel. Typen wie Duruy haben immer ihre Quellen, wenn es um die Ernährung ihres Hundes geht.«
Ein kurzes Schweigen entstand. Le Coz wirkte irritiert.
»Wonach suchst du genau?«
»Nach Zeugen. Nach jemandem, der Duruy in Gesellschaft eines anderen Mannes gesehen hat. Könnte ja sein, dass es der Mann ist, der ihm das Dope gespritzt hat.«
»Ich fände es seltsam, wenn ausgerechnet ein Metzger …«
»Auch um die Klamotten müssen wir uns kümmern«, unterbrach ihn Anaïs. »Typen wie Duruy holen sich ihre Kleidung bei karitativen Einrichtungen. Vielleicht können wir feststellen, wo er sich seine letzten Sachen geholt hat.«
»Wahrscheinlich hat er tagsüber gebettelt.«
»Ziemlich sicher sogar. Deshalb müssen wir auch herausfinden, wo er die Hand aufgehalten hat. Vor uns muss es einen Mann gegeben haben, der sich genau die gleiche Arbeit gemacht hat, verstehst du? Er hat Duruy entdeckt, überwacht und genau studiert. Ihr müsst euch an seine Spuren heften. Vielleicht läuft euch sein Schatten ja irgendwo über den Weg. Hast du neuere Fotos von Duruy?«
»Nur die Bilder vom Erkennungsdienst.«
»Zeigt sie allen, die ihr fragt. Und schick sie mir auf mein iPhone.«
»Geht klar. Und was soll ich jetzt tun?«
Anaïs setzte ihn auf die Anästhetika an. Er sollte Vorräte überprüfen, herausfinden, wann und wo Rezepte ausgestellt worden waren, und in Erfahrung bringen, ob es in letzter Zeit Einbrüche in Tierkliniken gegeben hatte. Le Coz fügte sich wenig begeistert.
Ehe Anaïs endgültig auflegte, bat sie ihn, sich mit den Gendarmen in Villeneuve-de-Marsan in Verbindung zu setzen und nachzufragen, ob sie ihrerseits weitergekommen waren. Sie riet ihm, die Kollegen möglichst mit Samthandschuhen anzufassen …
Inzwischen hatte sie den Stadtrand von Bordeaux erreicht. Sie dachte über den immer etwas geschniegelt wirkenden Le Coz nach, dessen zur Schau getragener Wohlstand durchaus nicht seinem Gehalt entsprach. Seine Familie hatte mit seinem Finanzpolster nichts zu tun, denn Le Coz war der Sohn eines Ingenieurs im Ruhestand. Eines Tages würde sich die Aufsichtsbehörde vermutlich die eine oder andere Frage stellen. Anaïs allerdings wusste längst Bescheid.
Die Metamorphose des Polizisten hatte an einem Tag im Jahr 2008 begonnen, als ein Einbruch in eine Privatvilla in der Avenue Félix Faure gemeldet wurde. Le Coz hatte den Einbruch natürlich nicht begangen, sondern die Ermittlungen geleitet. Dabei hatte er mehrfach die Besitzerin der Villa vernommen, eine nicht mehr ganz junge
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