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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Nase und Mund und schwieg. Dieses kolossale enthauptete Vieh erinnerte sie an die Stieropfer der Antike, die für die Herrschaft des Lebens und den Erhalt der Fruchtbarkeit gebracht wurden.
    »Ist das nicht furchtbar?«, stöhnte der kleine Züchter. »Ein cuatreño . Dieses Jahr hätten wir ihn hinausgelassen.«
    »Zum ersten und zum letzten Mal.«
    »Sie reden wirklich wie diese militanten Spinner, die uns das Leben zur Hölle machen.«
    »Das nehme ich als Kompliment.«
    »Dann hatte ich also recht. Ich habe ein Näschen für euch Nervensägen.«
    Kehrtwende . Auf diese Weise würde bei der Befragung rein gar nichts herauskommen.
    »Ich bin Polizistin«, sagte Anaïs mit fester Stimme. »Meine Ansichten gehen nur mich etwas an. Wie viel wog dieser Stier?«
    »Gute fünfhundert Kilo.«
    »War sein Gehege zugänglich?«
    »Die Weiden von Kampfstieren sind nie zugänglich. Weder von der Straße noch über Feldwege. Man kommt nur mit dem Pferd hin.«
    Anaïs ging um den Kadaver herum. Um ein so wuchtiges Tier anzugreifen, musste man schon verdammt viel Mut aufbringen. Aber der Mörder brauchte diesen Kopf für seine Inszenierung und hatte nicht gezögert.
    »Wie viele Stiere haben Sie insgesamt?«
    »Ungefähr zweihundert, in verschiedenen Gehegen.«
    »Und wie viele lebten im Gehege von diesem da?«
    »Etwa fünfzig.«
    Immer noch mit der Hand über Mund und Nase trat Anaïs einen Schritt näher an das tote Tier heran. Das Fell war matt und struppig geworden und sah feucht aus. Der riesige Körper bildete einen Gegenpol zu der Leiche in der Reparaturgrube. Eine Art Echo des geopferten Philippe Duruy. So, wie Duruy gleichzeitig den Minotaurus und die Menschenopfer symbolisierte, die man dem Ungeheuer darbrachte, stand der geköpfte Stier sowohl für das mythologische Wesen als auch für das Tier, das man ihm spendete.
    »Wie, glauben Sie, ist der Übeltäter an ihn herangekommen?«
    »Mit einem Narkosegewehr. Er hat ihn außer Gefecht gesetzt und dann geköpft.«
    »Und die anderen Tiere?«
    »Sind wahrscheinlich weggelaufen. Der erste Reflex eines Stiers ist immer die Flucht.«
    Anaïs kannte dieses Paradox. Ein Kampfstier ist nicht aggressiv. Es ist seine Verteidigungshaltung, die den Eindruck von Feindseligkeit vermittelt.
    »Könnte nicht auch sein Futter vergiftet worden sein?«
    »Nein. Im Winter geben wir ihnen nur Heu und pienso – das ist ein Nahrungszusatz. Nur die Betreuer der Tiere haben Zugang zu den Vorräten. Außerdem fressen alle Tiere aus der gleichen Raufe. Es muss mit einem Gewehr passiert sein, eine andere Möglichkeit gibt es nicht.«
    »Bewahren Sie hier im Zuchtbetrieb Narkosemittel auf?«
    »Nein. Wenn wir ein Tier anästhesieren müssen, rufen wir den Tierarzt. Der bringt dann sowohl das Mittel als auch das Gewehr mit.«
    »Kennen Sie jemanden, der sich besonders für Kampfstiere interessiert?«
    »Mehrere Tausend. Die Leute, die zu den ferias kommen.«
    »Ich meine jemanden, der vielleicht versucht hat, sich den Tieren zu nähern, und sich hier in der Gegend herumgetrieben hat.«
    »Nein.«
    Anaïs betrachtete den klaffenden Hals des Stiers. Das Fleisch hatte eine dunkelviolette Färbung angenommen. Wie reife Brombeeren, dachte Anaïs. Winzige Kristalle glitzerten auf der Oberfläche.
    »Wie wird ein Kampfstier getötet?«
    »Was meinen Sie?«
    »Ich meine, beim Stierkampf in der Arena.«
    Der dünne Mann antwortete, als wäre das eine Selbstverständlichkeit:
    »Der Matador stößt seinen Degen bis zum Schaft in den Nacken des Stiers.«
    »Wie lang ist die Klinge?«
    »Fünfundachtzig Zentimeter. Man muss eine Arterie oder eine Lungenvene treffen.«
    Vor ihrem inneren Auge sah Anaïs, wie die glänzende Klinge in die schwarze Haut eindrang und Muskeln und Organe zerfetzte. Beinahe konnte sie es spüren. Sie hatte das gleiche Gefühl wie damals als kleines Mädchen, als sie starr vor Entsetzen auf den steinernen Stufen gesessen und sich dann in die Arme ihres Vaters geworfen hatte. Der aber hatte nur gelacht. Arschloch .
    »Aber davor durchtrennen die picadores die Halssehnen mit ihren Speeren, nicht wahr?«
    »Richtig.«
    »Und anschließend vertiefen die banderilleros die Wunden, um die Blutung zu beschleunigen.«
    »Wenn Sie die Antworten schon kennen, wieso fragen Sie dann?«
    »Weil ich mir über die unterschiedlichen Stadien bis zum Tod klar werden will. Der Stier blutet wohl ziemlich stark, oder?«
    »Keineswegs. Das Ganze spielt sich im Innern des Körpers ab. Der Matador muss auch

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