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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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weggefahren.«
    »Und dann?«
    »Nichts mehr. Alles hat sich in Wohlgefallen aufgelöst.«
    Ein krächzender Schrei ertönte über ihnen. Anaïs hob den Kopf. Möwen stemmten sich gegen den Wind. Die Brandung donnerte gegen den schwarzen Sandstrand.
    »Wissen Sie schon etwas über die Einschusswinkel?«, fragte sie und vergrub die Hände in den Jackentaschen.
    »Wie es aussieht, stand der Schütze auf der Terrasse der Villa da drüben. Sie ist im Winter nicht bewohnt.«
    Das Haus war mehr als fünfhundert Meter entfernt.
    »Heißt das etwa, dass die Mörder …«
    »Ja, es waren Fernschüsse. Da war ein echter Sniper am Werk.«
    Die Ermittlungen schienen wieder eine neue Wendung zu nehmen. Wer bezahlte einen Scharfschützen, um einen verschuldeten Fischer und seine Lebensgefährtin zu eliminieren?
    »Woher wissen Sie, dass von dort geschossen wurde?«
    »Wir haben Patronenhülsen auf der Terrasse gefunden.«
    Da konnte etwas nicht stimmen. Wenn man davon ausging, dass die Mörder wirklich Profis waren, hätten sie nie im Leben den Fehler begangen, Beweisstücke am Tatort zu hinterlassen. Es sei denn …
    Anaïs kam ein anderes Szenario in den Sinn. Die Mörder hatten zwei ihrer Opfer niedergeschossen, doch einem war es gelungen zu fliehen. Freire. Sie hatten ihn verfolgt und im Eifer des Gefechts ihre Patronenhülsen vergessen.
    Martenot hielt ihr ein Plastiksäckchen mit Metallfragmenten unter die Nase. Anaïs nahm es und betrachtete die goldfarbenen Hülsen. Von solchen Dingen hatte sie keine Ahnung. In Ballistik war sie immer schlecht gewesen. Sie kannte sich weder mit Kalibern noch mit Leistung oder Entfernungen genauer aus.
    »Zwölf Komma sieben Millimeter«, erklärte Martenot. »Das ist Präzisionsmunition.«
    »Gibt uns das irgendeinen Hinweis auf die Mörder?«
    »In gewisser Weise schon. Zwölf Komma sieben ist ein eher seltenes Kaliber, das hauptsächlich in schweren Maschinengewehren verwendet wird. Leistungsstark und sehr schnell. Es wird auch gern bei bestimmten Präzisionswaffen verwendet.«
    »Was heißt das?«
    »Es ist das Kaliber des Hécate II. Ein in den 1990er Jahren entwickeltes Scharfschützengewehr, das oft von Snipern benutzt wird. Ein geübter Schütze trifft damit auf eine Entfernung von bis zu tausendzweihundert Metern. Auf tausendachthundert Meter kann man damit noch ein Fahrzeug stoppen. Ziemlich überdimensioniertes Material für eine einfache Fischerfamilie. Ganz davon abgesehen, dass man sich mit dieser Waffe sehr eingehend beschäftigen muss, um sie zu beherrschen.«
    Martenot sprach betont sachlich, um seine Befürchtungen zu verbergen. Doch Anaïs hatte bereits begriffen.
    »Könnte der Schütze den Streitkräften angehören?«
    »Das Hécate II wurde 1997 offiziell bei der Armee eingeführt«, antwortete Martenot widerstrebend. »Unsere Antwort auf die Scharfschützenangriffe während der Kämpfe auf dem Balkan. Heute werden diese Gewehre auch von Einsatzkommandos benutzt.«
    Anaïs schwieg. Das waren tatsächlich völlig neue Dimensionen.
    »Es gibt auch noch andere Truppenteile und ausländische Armeen, die dieses Gewehr benutzen«, fuhr Martenot fort. »Wir werden die Beweisstücke an unsere Zentrale schicken. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir die Überreste bis zur Waffe selbst zurückverfolgen können. Das Hécate II ist keine leicht erwerbbare Massenware und übrigens auch nicht einfach zu bedienen. Immerhin wiegt es voll ausgerüstet an die siebzehn Kilo.«
    Anaïs nickte ernst. Sie wusste – eigentlich hatte sie es von Anfang an gewusst –, dass diese Geschichte äußerst komplex war. Der Mord an einem Aussteiger, den man in einen Minotaurus verwandelt hatte. Das Auftauchen eines Mannes, der sein Gedächtnis verloren hatte und Fragen stellte, auf die es keine Antworten gab. Fingerabdrücke eines falschen Psychiaters. Und jetzt ein Mord aus dem Hinterhalt mit möglicherweise militärischem Hintergrund.
    Martenot griff nach den Patronenhülsen. Anaïs zögerte kurz.
    »Keine Sorge«, sagte der Mann, »wir werden der Sache sorgfältig nachgehen, auch wenn die Schuldigen aus unseren eigenen Reihen stammen. Die Hülsen gehen noch heute ins Labor, und der Bericht ist schon unterwegs zum Richter.«
    »Ist schon ein Richter bestellt?«
    »Claude Bertin von der Staatsanwaltschaft Bayonne. Er hat viel mit der ETA zu tun und kennt sich in Sachen Ballistik aus.«
    »Haben Sie schon den Obduktionsbericht?«
    »Noch nicht.«
    Anaïs stutzte. Die Leichen von Bonfils und seiner

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