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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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sich; fast alle wirkten apathisch und wie versteinert. Ein Typ kniete auf dem Boden, stützte sich auf der Bank ab und versuchte sich in gymnastischen Übungen. Seine Bemühungen wirkten mitleiderregend und ziemlich ungeschickt, vor allem weil er bei jeder Bewegung dramatisch stöhnte.
    Der Sozialarbeiter, der neben dem Fahrer saß, klopfte an die Scheibe.
    »Jo, setz dich sofort hin.«
    Der Sportsmann richtete sich schwankend auf und ließ sich auf die Bank fallen. Sein Sitznachbar erhob sich. Seine Haut war schwarz vor Schmutz. Glücklicherweise nahm Janusz seinen Geruch nicht wahr, denn er atmete bewusst nur noch durch den Mund. Ganz wohl war ihm allerdings auch dabei nicht, denn auf diese Weise drangen die Ausdünstungen ungefiltert in seine Lunge. Der Mann stellte sich breitbeinig vor die zweigeteilte Hecktür des Wagens und pinkelte. Bei dem Versuch, den Spalt zwischen den Türflügeln zu treffen, bespritzte er seine Nachbarn, denen das jedoch nichts auszumachen schien.
    Er bemühte sich umsonst, weil die Türen natürlich geschlossen waren. Je nachdem, ob der Wagen anfuhr oder bremste, schwappte die Urinpfütze durch den Passagierraum. Wieder klopfte der Sozialarbeiter gegen die Scheibe.
    »Hey! Nicht hier! Du kennst die Vorschriften.«
    Der Mann reagierte nicht, sondern entleerte sich stoisch weiter. Janusz hob die Füße.
    Als der Penner fertig war, trat er rückwärts mitten in die stinkende Lache und ließ sich auf die Bank fallen.
    Der Geräuschpegel stieg mit jedem zurückgelegten Kilometer. Schleppende, verbitterte, bösartige Stimmen stießen zusammenhanglose Worte hervor. Das Ganze hörte sich an wie Fetzen einer Sprache ohne Bedeutung und ohne Sinn.
    Eine Frau stammelte ununterbrochen vor sich hin:
    »Ich heiße nicht Odile, ich heiße nicht Odile. Wenn ich Odile hieße, wäre das etwas ganz anderes …«
    Ein Mann, der keine Zähne mehr hatte und dessen Mund ganz eingefallen war, stöhnte:
    »Ich muss unbedingt zum Zahnarzt. Und danach fahre ich zu meinen Kindern.«
    Manche sangen. Die Misstöne waren schier unerträglich. Einer grölte noch viel lauter als die anderen. Er versuchte sich an Les Démons de minuit , einem Hit aus den 1980er Jahren.
    »Hier ist echt was los, findest du nicht?«
    Bernard saß tatsächlich neben ihm. Janusz war so verstört gewesen, dass er es nicht einmal bemerkt hatte.
    »Aber das hier ist noch gar nichts. Warte erst einmal ab, bis wir in La Madrague sind.«
    Der Transporter hielt noch mehrmals an. Janusz riskierte einen Blick nach draußen. Während die Sozialarbeiter den Abschaum der Gesellschaft einsammelten, versuchten andere Männer, alterslose Frauen in Daunenjacke und Minirock dazu zu bewegen, in einen Lieferwagen einzusteigen.
    »Das sind Nutten«, murmelte Bernard. »Sie werden nach Jeanne-Panier gebracht.«
    Vermutlich ebenfalls eine Wärmestube. Neue Passagiere stiegen ein. Allmählich wurde es eng. Der Sänger grölte ohne Rücksicht auf Verluste weiter: Ils m’entraînent au bout de la nuit / Les démons de minuit / Ils m’entraînent jusqu’à l’insomnie / Les fantômes de l’ennui!
    Die jungen Männer setzten sich schweigend so weit wie möglich von den anderen entfernt. Sie wirkten weder betrunken noch schmutzig, sondern im Gegenteil wach und klar bei Verstand. Und alles andere als freundlich. Janusz hatte den Eindruck, dass sie erheblich gefährlicher waren als die restliche Klientel.
    »Das sind Rumänen«, flüsterte Bernard.
    Janusz erinnerte sich. Ähnliche Gestalten waren manchmal nach Pierre-Janet gekommen. Vorbestrafte aus Osteuropa, denen die Notunterkünfte in Frankreich im Vergleich zu rumänischen Gefängnissen wie Fünfsternehotels erschienen.
    »Denen darfst du nicht zu nah kommen«, fügte Bernard hinzu. »Für ein Restaurant-Ticket würden sie ihre eigene Mutter umbringen. Aber vor allem interessieren sie sich für unsere Papiere.«
    Janusz ließ die drei Raubtiere nicht aus den Augen. Aber auch er war ihnen aufgefallen – der Penner mit den weichen Händen. Er war der Mann, den sie sich in dieser Nacht vornehmen würden. Der Einzige, der vermutlich mehr als einen Euro in der Tasche hatte. Janusz schwor sich, in dieser Nacht nicht zu schlafen, obwohl er vor Erschöpfung schon ganz steif geworden war. Er steckte die Hand in die Tasche, tastete nach seinem Eickhorn und umklammerte das Messer wie einen Fetisch.
    Der Jumpy bremste. Sie waren am Ziel. Das Viertel sah aus, als sei man dabei, es zu demolieren oder neu aufzubauen – um

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