Der Utofant
ruhen.
Ich hätte vieles fragen sollen, aber ich hatte plötzlich jede Fragelust verloren. Ich empfand es als angenehm, schwer an den Boden der Welt Gravitium geheftet dazuliegen. Ich dachte nicht. Ich fühlte die angenehme süße Schwere. So lag ich in bleierner Entspannung, umgeben vom beruhigenden Schaukeln der Fumablätter. Mein Zeitgefühl verließ mich. Nach irdischen Begriffen muß ich Stunden so gelegen haben, als ich zu spüren anfing, wie es kälter wurde, und mir die Frau mit langsamen, gemessenen Bewegungen das Hemd zuknöpfte, als zelebriere sie ein Ritual. Dann nahm sie – langsam und sorgfältig – ein wollenes Tuch von ihrer Schulter und bedeckte mich.
Wieder nach einer Zeit kamen vier Männer mit einer Bahre auf großen, schweren speichenlosen Rädern. Als sie mich drauflegten, atmeten sie feierlich. Einen Fuß bedächtig vor den anderen setzend, schoben sie mit mir davon. Die Frau schritt ruhig vor meiner Bahre her. Bald mußte die Sonne untergehen. Als ich über den Rand des Fumafeldes blickte, stand sie schon halb hinter den behäbigen Gebirgsquadern. Aber ich wußte aus Erfahrung, daß auf Gravitium der Sonnenuntergang schleppend vor sich geht. Während die Männer meine Bahre vorwärts schoben, hatte ich zum ersten Mal die Zeit, ihn in Ruhe zu betrachten. Das gleißende Licht wurde allmählich gelber, das stumpfe Grün der Fumablätter violetter, der Wind ließ nach.
Die Gravitiden sind nicht groß, doch breit und kräftig. Als sie gingen, ich sah es nun genauer, war es, als klebten ihre Füße am Boden fest, lösten sich mühsam und klebten wieder fest. Mir kam es vor, als arbeiteten wir uns durch eine dicke, zähe Flüssigkeit. Die Fumablätter wirkten bereits schwarz, als wir ins Dorf der weißen Häuser kamen, die alle erdgeschossig breit am Boden haften. Mir schien, die Männer trugen mich ins Haus der Frau und sogar in ihr eigenes Zimmer. Ich wußte schon, daß Gravitidenhäuser sehr einfach eingerichtet sind, meistens bestehen sie aus einem einzigen viereckigen Raum mit den notwendigsten Möbeln. Im einräumigen Haus der Frau gab es ein breites Bettgestell mit niedrigen Füßen. Die Männer legten mich darauf, ich machte keine Anstalten, mich hinaufzuhieven, ich hatte das Gefühl, ich würde sie beleidigen, wenn ich versuchte, mir selbst zu helfen. Aber ich muß schon zu erschlafft gewesen sein. So ließ ich mich auch von der Frau auskleiden. Bevor ich einschlief, fühlte ich über meiner Herzgrube ihre Hand, sah ihren dunkelbraunen Blick. Dann war es so, als ob ich langsam in einen Abgrund rutschte und das Bewußtsein verlor.
2
Auch als ich ein Rollen hörte, das mein Bettgestell erschütterte, öffnete ich die Augen nicht und rührte mich auch nicht. Erst als ich kriechende Kälte wahrnahm, wandte ich den Kopf und sah, daß die Frau eine Hauswand beiseite geschoben hatte. Von draußen zog Kälte herein, es war blendend hell. Die Frau stand nackt vor einem Ziehbrunnen, nach und nach zog sie die Stange herunter, Zentimeter für Zentimeter, sie hatte sich, da die Arbeit offenbar schwer war, breitbeinig hingepflanzt, ihre Armmuskeln traten hervor, und während sie sich bückte, spannten sich die kräftigen Hinterbacken. Langsam zog sie den Eimer hoch, indem sie sich zugleich mit der aufwärts steigenden Last streckte, die Arme mit dem Eimer hob, und als sie ihn über den Kopf balanciert hatte, kippte sie Wasser über ihren Körper, stöhnte dabei, schüttelte sich und ließ den Eimer wieder nach unten fahren. Mir kam es vor, als dauerte es diesmal länger, sie bemühte sich, die Ziehbrunnenstange schräg zu halten, dann zog sie sie vorsichtig und langsamer als beim ersten Mal und unter sichtlich größerer Anstrengung nach oben, streckte die mächtige Brust heraus und goß den Eimerinhalt, schwarzen, zähfließenden Brei, darüber. Ich mutmaßte, der Brunnen hätte zwei Abteilungen, eine für Wasser, eine für Schlamm.
Ich dachte, da forschen und forschen wir wie verrückt, wir messen Temperaturen, Zusammensetzung der Atmosphäre, um sechs, zwölf, vierundzwanzig und um sechsunddreißig Uhr, die Daten häufen sich, aber das Wesentliche, wie die Bevölkerung hier lebt, entgeht uns.
Die Frau legte eine Pause ein, der tropfende Eimer hing an der Stange hoch über dem Brunnen. Sie stellte sich schlammbedeckt ins Licht, vielleicht um den Schlamm trocknen zu lassen. Ich muß das auch machen, beschloß ich. Gut, daß ich zusammengebrochen bin, so komme ich mit dem wirklichen
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