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Der Utofant

Der Utofant

Titel: Der Utofant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna und Günter Braun
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Zeugnisse, Urkunden, Bescheinigungen und Empfehlungsschreiben war der Physikstudent Odysseus Chloros an die Ernst-RemmHochschule der Stadt gereist, um eine Diplomarbeit zu irgendeinem Thema abzufassen, das man ihm anbieten würde. Aus der Vielzahl wählte er nicht etwa »Rudimente eines kybernetischen Komplexverhaltens bei weiblichen Bisamratten im Vergleich zu kybernetischen Mausphantomen«, sondern ohne zu zögern »Die Inventarisierung der Villa Remm«.
    Der themenverteilenden Professor glaubte, er müssen den Diplomanden darauf
    hinweisen, daß dieses diffiziele, überraschungsträchtige Thema zwar etwas abgelagert sei, doch immer wieder für Diplomarbeiten empfohlen werde, ohne daß sich jemand dafür entschied. Die Hochschule Ernst Remm fühle sich schon wegen ihres Ehrennamens verpflichtet, ans Remmsche Erbe, das nun einmal in dieser Stadt verankert liege, zu erinnern. Die Abhandlung des Themas schließe persönliches Risiko nicht aus. Odysseus Chloros müsse unterschreiben, daß er es tragen wolle. Er dürfe eine finanzielle Arbeitshilfe empfangen. Auf andere Hilfe könne er allerdings nicht rechnen.
    Odysseus Chloros erwiderte darauf, er lasse sich nie in die eigene Arbeit pfuschen, er werde sie schon selbst durchziehen. Er blickte den Professor gleichmütig an. Der zweifelte, ob Chloros zielbewußt auf das Thema zugesteuert war oder es blindlings, also zufällig, gegriffen hatte. Der Ausdruck seines bläßlichen Gesichts war etwas starr gewesen, wie es bei einem festen Vorsatz, von dem man nicht abweichen will, genauso vorkommt wie bei gleichgültigem Funktionieren. Es macht nichts, antwortete Chloros unerschrocken, ich werde dieses Thema schon in die Zange nehmen.
    Schlechten Gewissens, froh, daß ein Unbefangener, sprich Dussel, auf das gefährliche Thema hereingefallen war, an dessen Bewältigung niemand glaubte, zahlte das Rektorat Odysseus Chloros die Arbeitsunterstützung sofort aus. Er strich sie mit kalter Miene und, wie die Sekretärin dem Rektor sofort meldete, sehr überheblich ein. Vorläufig ließ Odysseus Chloros die Villa Remm links liegen. Es schien ihn nicht einmal zu interessieren, wie er dort hingelangen könnte. Statt dessen suchte er die Visionsbar auf, wo Michaela Nymandsen, Studentin der Kunst des Altertums, auf silbernem Tablett Visionsflips servierte.
    Odysseus hockte nunmehr jeden Abend dort. Als einziger blickte er nicht den bunten Nebelbildern nach, die an der Wand aufstiegen und niedersanken. Er konzentrierte seine Optik auf Michaela und auf die Gläser, die sie balancierte. Im Dämmerlicht kam Michaela sein bärtiges Gesicht kleinkindlich vor. Er trank jedoch die härtesten Visionsflips ohne Anzeichen von Betrunkenheit, blieb bis zum Schluß und stand als Letzter und kerzengerade auf. Im weißen Scharflicht sah er alt und elend aus, sogar ein bißchen grün, so schien es Michaela.
    Dir ist wohl übel, fragte sie, als sich sein Zustand wiederholte. Ach, nur ein bißchen, sagte er, ich fahre zu den Eis-Inseln, da ist die Luft noch rein, komm mit, du brauchst nichts zu bezahlen.
    Warum nicht zu den Dodekanes, da könnten wir antike Tempel sehen und in der
Sonne liegen. Billiger ist es auch.
Auf den Eis-Inseln ist die Luft noch rein, beharrte er.
Da müssen wir Pelzanoraks anziehen.
Aber die Luft; komm, nur für eine Woche, ich habe Geld.
    Sein Blick schien Michaela tyrannisch aufgeladen, sie dachte, Verwöhnter-JungenBlick, sie fand ihn aber auch unbekümmert, lustig, kumpelhaft. Wir ziehen da einen duften Urlaub ab, verhieß er.

    Als sie thermisch verpackt auf einem Eisblock saßen, ins graue Meer spuckten und
reine Luft atmeten, erkundigte sich Michaela, woher Odysseus das Geld genom
men habe.
Er sagte es ihr lässig.
    Als sie erschrocken fragte, ob er sich denn, bevor er unterschrieb, nicht informiert habe, was diese Villa Remm für ein Gebäude sei, in welchem Ruf sie stehe, antwortete er, das hat bis nach dem Urlaub Zeit. Hast du denn keine Ahnung, worum es bei dem Thema geht?
    Bei jedem Thema geht es bedauerlicherweise um stinklangweilige Arbeit, die man durchziehen muß, weil es die Professoren wollen. Sie hoffen, daß man aufgibt, damit man nicht auch noch Professor wird, aber ich bleibe hart. Das sind eben die Normen des menschlichen Entwicklungsstrebens.
    Aber doch nicht im Fall der Villa Remm, an dem sind Wissenschaftler und Kriminalexperten total gescheitert. So einen Fall faßt man erst gar nicht an.
    Odysseus wirkte nicht sonderlich beunruhigt. Man darf die Sache

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