Der Utofant
kybernetisch war?
Ja, eben, gerade darum, weil sie in ihrer Untersuchung Bezugspunkte zu Philosophen der Antike benötigte, die manchmal auch Erfinder waren, und über den Euripides, der alte Herkünfte, na, und Beziehungen der griechischen Mythologie, nicht wahr, verstehen Sie, in dem Zusammenhang, da wäre eben Remm. Sie wolle Remm mit den Augen der Antike sehen.
Die wenigen Hinweise, die Michaela in den vergilbten Blättern fand, Anzeigen, in denen Remm Erfindungen anpries, Berichte über Vorträge, die er teils unter freiem Himmel, teils in der Hinterstube einer Klops-Gaststätte gehalten hatte, ein paar gehässige Angriffe gegen Remm, Gerichtsberichte, in denen es um obskure Sachbeschädigungen ging – diese mageren Hinweise genügten ihr, sich diesen Remm (von dem der STADT-KURIER bei seinem Ableben ein blasses Jugendbildnis brachte, weil in den letzten fünfzig Jahren keine Fotos von ihm mehr ins Archiv gekommen waren) fast so lebendig vorzustellen, wie es ihr mit Euripides gelang. Man hat ihm übel mitgespielt, so schien es ihr. Jetzt gibt es die Ernst-RemmHochschule, die Ernst-Remm-Straße, den Ernst-Remm-Platz und ein Diplomarbeitsthema »Die Inventarisierung der Villa Remm «, aber noch jetzt genießt er einen Ruf als Bosnickel, als Hexenmeister, als hinterhältiger Greis. Man hat ihm sicher übel mitgespielt, wie wäre es sonst möglich, daß niemand unbeschädigt in die Villa Remm eindringen konnte. Sie blätterte noch neuere Bände durch. Dort fand sie auf der Witzseite die alte Anekdote von den Remmschen Flöhen. Du meine Güte, dachte Michaela, da reiten die drauf rum, anstatt zu überlegen, wie Remm auf solche boshaften Ideen kommen konnte. Ihr fiel auf, daß er im STADTKURIER als Feierabenderfinder, Heimwerker, als Sonntagsbastler bezeichnet wurde. Manchmal auch als autodidaktischer Verbesserer. Von einem Professorentitel oder einem Hochschulposten war keine Rede. Vielleicht hat Remm das nicht gewollt, mutmaßte Michaela, aber sie hatte auch in den Ordenslisten, die bei den alten Jahrgängen des STADT-KURIERS oft mehrere Seiten füllten, den Namen Ernst Remm nicht finden können. Einmal wurde in Perlschrift eine Warnschiene nach E. Remm erwähnt, und zwar in einem kommerziellen Inserat, das etwa dreißig andere technische Artikel nannte.
Und weiter haben Sie hier nichts von Remm? erkundigte sich Michaela.
Nein, weiter nichts, soweit wir unsere Magazine überblicken können. Wir haben selbstverständlich noch längst nicht alles aufgearbeitet.
Und warum selbstverständlich nicht? Weil niemals alles aufgearbeitet sein kann.
Sie war gerade in ihre kleine Wohnung zurückgekommen, als sie durchs Fenster Odysseus Chloros sah, der blaß und steif, wie geistesabwesend, die Straße überquerte, doch keineswegs ihr Haus ansteuerte. Sie zog das Fenster auf und rief ihn. Was mochte dem wohl widerfahren sein? Er stelzte weiter, als wäre er taub. Sie mußte ihm zwei Straßen weit nachlaufen, ihn bei den Schultern fassen und ihn in ihre Richtung umdrehen, in den Fahrstuhl schieben. Als er endlich in ihrem Sessel
saß, sprach er kein Wort. Sie rüttelte ihn vorsichtig, Odysseus, warst du in der
Villa?
Er knurrte.
Sie legte ihm die Hand auf die Stirn, die war auffallend kühl. Das beste wäre, dachte Michaela, ich würde mit ihm schlafen, ihn richtig durchwärmen. Sie sah nicht ein, warum er es nicht wollen sollte. Sie hatte ja die Probe in der Visionsbar ohne weiteres bestanden. Wenn dort auch Dämmerung herrschte, die Geschäftsleitung verlangte, daß ein gewisses Schönheitsmaß nicht unterschritten wurde. Michaela wurde sofort eingestellt.
Es war vielleicht ein Fehler, sagte sie zu Odysseus, daß wir zu diesen Eis-Inseln gefahren sind, das war für unsere menschlichen Beziehungen nicht gut. Ich möchte, daß wir nachholen, was wir da unterlassen haben, ich habe gerade Lust dazu, und das ist nicht zu unterschätzen.
Odysseus sah, wie sie glaubte, traurig aus. Ich weiß nicht, ich bin dermaßen bei diesem Thema engagiert, ich glaube nicht, daß es mir gut gelingen würde. Er gab sich einen Ruck. Verstehst du?
Sie sagte, ich glaube nicht, daß du in deinem Zustand sehr fit für dieses Thema
bist. Komm doch, gib mir die Hand.
Sie fühlte sich kalt an, fiel schlapp herunter.
So wie die Hand ist an mir alles, sagte er, glaub es mir doch.
Du solltest etwas essen, sagte Michaela; sie überlegte, ob sie vom Feinkostladen an der Ecke ein paar belebende Gewürze holen sollte, wagte es aber nicht, weil sie
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