Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Utofant

Der Utofant

Titel: Der Utofant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna und Günter Braun
Vom Netzwerk:
nicht problematisieren und nicht emotionalisieren, ich will die Bude inventarisieren, das heißt, ich muß es, damit ich mein Diplom erhalte. Vielleicht springt auch noch eine Doktorarbeit raus. Leichter kann man nicht vorwärtskommen. Gerumpel inventarisieren und registrieren. Was soll mir da passieren? Meinst du, die Prüfungskommission wird eine Staubschicht kritisieren, die ich vergessen habe?
    Mensch, du kannst dabei umkommen, rief Michaela höchst erregt, ein Kommissar hat seinen Arm verloren, und niemand weiß, wie viele geschockt in Nervensanatorien liegen.
    Odysseus mutmaßte, den wird ein Vorgesetzter angetrieben haben, den der Erfolgszwang stach. Ich kann mir Zeit lassen. Ich bin unbelastet. Mich interessiert der alte Knacker Remm und sein verstaubtes Inventar nicht im geringsten. Jetzt bitte ich dich aber, verdränge dieses Thema bis nach dem Urlaub. Kannst du das ohne weiteres?
    Möglich, der Blitz fährt in die Remmsche Villa, während wir hier die reine Luft mit einem Thema trüben, das vielleicht gerade in Flammen aufgegangen ist. Also, verdränge es.
    War dieser Chloros nur ein Kraftmeier? Entsprach sein Verhalten einer rationalen Überlegenheit, mit der er schwierige Probleme löste? Versuchte er bewußt, mit kühlem Kopf die komplizierte Sache anzugehen? War angeborener Stumpfsinn der Grund für seine gleichgültige Haltung? Hatte er Angst? Merkwürdig schien ihr, daß er noch keine Anstalten gemacht hatte, mit ihr zu schlafen. Er hat vielleicht doch keine Angst, sonst würde er es sicher wollen. Sie hätte es nicht abwegig gefunden, aber sie schlug es ihm nicht vor, sie dachte, als er nicht drauf zu sprechen kam, dann ist es eben zum Glück mal anders; ein Mann, der nicht gleich seinen Magierstab bestaunen lassen will, sondern im Thermo-Anzug auf einem Eisblock sitzt, ist eigentlich viel reizvoller. Und wie wir hier fest eingepackt aus unseren Gesichtslöchern blinzeln, ist dies ein schöner klarer Urlaub nach all den bunten Nebeln in der Visionsbar. Warum hast du mich mitgenommen? fragte Michaela. Um die reine Luft zu atmen.
    Und lapidar beim Abschied: Es war dufte, das konnte man mitnehmen.
    Sie sah bei seinen Worten die spitze, starre, weißgrüne Eiswelt vor sich. Warum war er gerade dorthin mit ihr gefahren? Warum in diese kalte Ödnis? Soll ich dich anrufen?
    Er antwortete kühl, er müsse sich erst einmal an das Thema betreffs der Villa Remm heranarbeiten, er sei schon im Verzug. Wir haben uns sehr gut verstanden, sagte er. Mit dir kann man sich unterhalten, gut quatschen, ja.
    Konnte sie noch verlangen, daß er sie nach Hause begleitete? Er riß ein Taxi auf und stopfte sie hinein. Das erste Mal, daß er sie etwas fester anfaßte. Er selbst blieb draußen stehen, winkte aber nicht. Sie sah ihn schräg die Fahrbahn überqueren und dann in einem U-Bahn-Schacht versinken.
    In die Visionsbar kam er nicht mehr, und er rief Michaela auch nicht an. Sie hoff
te, ihn bei der Villa Remm zu treffen, doch diese lag, von Schlinggewächsen ein
gesponnen, finster und unberührt.
Wie eh und je.
    Genaues wußte Michaela Nymandsen über die Remm-Geschichte nicht. Sie war erst kürzlich mit ihren Eltern in die Stadt gezogen. Für Mathematik, Physik und auch für Kybernetik hatte sie nur wenig Neigung, in Mathe galt sie als ausgesprochener Versager. Vielleicht war sie von der Phobie besessen, sie solle sich zur kybernetischen Maschine hinaufentwickeln; ihr Denken war dafür nicht eingerichtet, Gesetze hinzunehmen und sich danach zu richten. Sie wollte immer nach dem Ursprung forschen, das Gegenteil probieren. Oft wollte sie aber auch gar nichts wissen. Nicht wahr, so fragte sie naiv, es kommt doch vor, daß man sich für ein Fach nicht interessiert, daß man das sichere Gefühl hat, man braucht das nie in seinem Leben. Wozu soll man es also lernen, das ist unökonomisch, finde ich. In alten Sprachen und alter Kunstgeschichte entwickelte sie sich jedoch zu einem As. Gerade holte sie sich aus der Bibliothek die Dramen des Euripides, als ihr der Einfall kam, dort auch nach Materialien über Remm zu fragen.
    Wieso sie auf den Remm verfallen sei? Von dem sei nichts vorhanden. Höchstens mal hier und da etwas verstreut in alten Nummern des STADT-KURIERS. Die würden nur zum Zwecke wissenschaftlicher Verarbeitung herausgegeben und nur im Lesesaal. Sie müsse eine eidesstattliche Erklärung schreiben, daß sie das Material für ein bestimmtes Thema brauche. Sei sie nicht altsprachlich? Wozu dann Remm, der

Weitere Kostenlose Bücher