Der Väter Fluch
schmalem Revers, ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte. Sein Gesichtsausdruck war weniger streng als... schüchtern. »Wie lange ist das her?«
»Vier Jahre. Da war Vater achtundsiebzig, der Letzte meiner Familie. Meine Mutter ist zehn Jahre vor ihm gestorben.«
Rina nickte. »Und die Jungs?«
»Ernesto war dreizehn und Karl elf.«
»Ich werde es versuchen«, sagte Rina und behielt das Foto in der Hand. »Jetzt schau ich besser mal, was Sammy macht.«
»Der Junge mit den Gebetsriemen?«
»Ja, er ist gerade aus Israel zurückgekommen.«
»Ja, sehen Sie nach ihm.« Golding stand auf und reichte ihr die Hand. »Vielen Dank, Mrs. Decker.«
Sie schüttelte seine Hand und versicherte ihm noch einmal, dass sie ihm helfen wolle. Sobald sie den Raum verlassen hatte, fing Golding wieder an, nervös und ziellos hin und her zu laufen. »Ich muss zu Jill und Karl zurück.«
»Wann kann ich mir das Zimmer Ihres Sohnes ansehen?«
Golding warf einen Blick auf die Uhr. »Meine Güte, ist es noch früh. Wie wär's in zwei Stunden? Um acht oder halb neun?«
»Gut, ich komme.«
»Lieutenant Decker, wann können wir unseren Sohn begraben? Ich weiß, Sie untersuchen einen Mord, aber meine Frau und ich, wir brauchen... etwas...«
»Einen Schlusspunkt.«
»Etwas Greifbares, das wir betrauern können.« Golding sah wieder zur Seite.
»Ich werde seine Leiche so schnell wie möglich freigeben lassen«, versicherte Decker. »Kann ich Ihnen sonst irgendwie helfen?«
Golding schüttelte den Kopf. »Es sei denn, Sie haben die Fähigkeit, Tote zum Leben zu erwecken.«
Rinas verstorbener Mann hieß Lazarus. Decker ließ sich nichts anmerken. Er fragte sich, ob dieser Name wohl ein gutes Omen oder pure Ironie war.
Decker saß am Küchentisch, die Zeitung vor sich ausgebreitet, nahm einen Schluck Kaffee und sagte in gespielt beiläufigem Ton: »Hör mal, Rina, mir gefällt das nicht, dass du nach der Identität von Goldings Vater forscht. Soweit ich weiß, könnte das ein mögliches Tatmotiv sein.«
Rina korrigierte den Sitz ihres Kopftuchs und schnitt Erdbeeren in eine Schüssel mit Müsli. »Ein weiterer Grund für dich, möglichst schnell herauszufinden, was hier eigentlich vorgeht.«
»Da stimme ich dir zu.« Decker blickte auf. »Genau wie du gesagt hast: Ein weiterer Grund für mich, es herauszufinden. Für mich, nicht für dich.«
»Und welcher deiner Detectives kennt sich mit Postholocaustjuden aus?«
»Rina...«
»Entschuldige mich. Ich muss deine Tochter füttern.« Entschlossen marschierte sie aus der Küche, kam aber eine Minute später wieder zurück. »Du hattest nicht die geringste Ahnung, was du Golding fragen solltest. Und selbst wenn du zufällig auf die richtigen Fragen gestoßen wärst, hättest du immer noch nicht gewusst, was die Antworten zu bedeuten haben. Und dabei bist du noch der Beste von der ganzen Truppe.«
»Jetzt wirst du aber überheblich.«
»Peter, ich tue dem Mann nur einen Gefallen - von Eltemteil zu Eltemteil.«
»Und ich versuche, einen Mord aufzuklären.«
»Umso besser. Ich werde dir alles mitteilen, was ich herausfinde.«
Decker verdrehte die Augen.
»Mach das nicht noch mal!«, fuhr Rina ihn an. »Hast du mich nicht gebeten, Tom Webster mit zum Tolerance Center zu nehmen?«
»Damit du ihm Zugang zu deren Informationen über antisemitische Gruppierungen verschaffst - und nicht, um genealogische Forschungen anzustellen.«
»Während er sich um die antisemitischen Gruppierungen kümmert, wechsle ich ein paar Worte mit der Archivarin.« Sie sah ihn mit einem aufsässigen Blick an. »Musst du nicht längst irgendwo sein?«
»Versuchst du mich loszuwerden?«
Rina bemerkte den verletzten Ausdruck im Gesicht ihres Mannes. Seufzend zog sie einen Stuhl heran und setzte sich neben ihn. Er legte die Zeitung beiseite, nahm einen letzten Schluck Kaffee und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich muss jetzt gehen.«
»Warte.« Pause. »Tut mir Leid.«
»Warum müssen wir uns über solche blöden Sachen streiten?«, brummte Decker. »Du solltest dich nicht in meine Untersuchungen einmischen.«
»Du hattest aber keine Bedenken, mich zu bitten, Tom Webster mitzunehmen...«
»Inzwischen habe ich meine Meinung geändert. Tom kann das auch ohne Hilfe herausfinden.«
Jetzt war Rina gekränkt. »Prima. Dann lös doch deinen Fall allein.«
»Vielen Dank, das werde ich auch.« Keiner sagte ein Wort.
»Was ist los, Peter?«, platzte Rina schließlich heraus. »Ist das irgend so ein
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