Der Väter Fluch
herzzerreißendes Schluchzen, das nur schwer zu ertragen war.
23
Schließlich fasste Golding sich und fuhr fort: »Nichts... kein Schmerz kann so schlimm sein. Nichts, was Sie mir erzählen oder sagen oder tun werden, kann schlimmer sein als das. Sie können meinen Schmerz niemals nachfühlen, aber als Eltern können Sie ihn sich... vielleicht vorstellen.«
Decker bemerkte, dass Rina leise weinte. Woran dachte sie? Den unvorstellbar schrecklichen Verlust eines Kindes? Die Schicksalsschläge, die sie selbst zu verkraften hatte - der Krebstod ihres Mannes, die Ermordung eines sehr engen Freundes und der Schmerz, viel zu früh selbst keine Kinder mehr bekommen zu können?
»Nichts, was Sie mir erzählen, könnte schlimmer sein«, wiederholte Golding. »Ich kenne die Vergangenheit meines Vaters nicht, und mein Sohn kannte sie genauso wenig. Ich möchte mehr darüber erfahren... um meines Sohnes willen. Er hat sich dafür interessiert, und ich habe ihm den Mund verboten. Ich schulde es ihm, die Wahrheit herauszufinden.«
Decker blieb ungerührt.
Golding hakte nach: »Meinen Sie, ich sollte es lassen?«
»Sie geißeln sich selbst«, erwiderte Decker. »Das müssen Sie nicht. Sie waren ein guter, liebevoller Vater. Das weiß ich, denn Ernesto hat es mir gesagt.«
Golding liefen Tränen über die Wangen. »Ich war ein guter Vater.« Er nickte heftig. »Wirklich. Ich habe viel Zeit mit meinen Kindern verbracht. Ich hab mein Bestes getan.
Ich war bestimmt nicht vollkommen, aber ich hab es versucht.« Er schnäuzte sich wieder. »Trotzdem, ich bin es meinem Sohn und seinem Andenken einfach schuldig. Und... ich müsste lügen, wenn ich das abstreiten würde... auch in mir selbst würde es eine Lücke schließen.« Er sah Decker an. »Aber ich weiß nicht, wie ich es anstellen soll. Sie sind doch Kriminalist. Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht helfen. Vielleicht kennen Sie jemanden, der auf so etwas spezialisiert ist.«
Decker fuhr sich mit der Hand durch sein zerzaustes Haar. »Ich kenne ein paar Privatdetektive, aber die sind keine Ahnenforscher. Außerdem kosten sie viel Geld.«
»Geld spielt keine Rolle.«
»Aber es gibt keine Garantie«, entgegnete Decker.
»Die gibt es nie. Das weiß ich besser als jeder andere.«
»Wo ist Ihr Vater geboren«, fragte Rina.
Golding schaute sie an. »Irgendwo in Osteuropa. Er hat seinen Geburtsort nie erwähnt. Sie glauben gar nicht, wie verschwiegen er war.«
Decker musste diese Information einen Moment lang verdauen. »Gibt es noch irgendwelche lebenden Verwandten?«
»Alle tot«, antwortete Golding. »Meine Großeltern sind gestorben, als ich noch ganz klein war. Es gab noch eine Schwester... meine Tante. Sie hat nie geheiratet. Ich war ungefähr zehn, als sie starb.«
»Sie könnten es bei einem Familienforscher versuchen«, schlug Decker vor.
»Mr. Golding, welche Sprachen hat Ihr Vater gesprochen?«
»Bitte, nennen Sie mich Carter.« Golding dachte einen Moment nach. »Englisch und Spanisch natürlich. Mit seiner Schwester redete er in einer anderen, fremden Sprache. Ich habe immer angenommen, dass es Deutsch war.«
»Deutsch?«, fragte Rina nach. »Sind Sie sicher, dass es nicht vielleicht Jiddisch war?«
»Das kann ich nicht sagen«, antwortete Golding. »Die beiden Sprachen ähneln sich, oder?«
»Ja«, sagte Rina. »Nehmen wir mal an, Ihr Vater war Jude. Zwischen deutschsprachigen Juden und denen, die Jiddisch redeten, bestand ein himmelweiter Unterschied. Jiddisch sprachen normalerweise die armen osteuropäischen Juden, Arbeiter, Kleinbauern, kleine Händler. Die deutschen Juden waren ganz anders, viel mehr in die deutsche Gesellschaft integriert und assimiliert. Deutschsprachige Juden kamen in der Regel auch aus Deutschland sowie Ungarisch sprechende Juden - meine Eltern etwa - aus Ungarn, Rumänisch sprechende aus Rumänien... die meisten tschechischen Juden sprachen auch Tschechisch. Aber polnische Juden sprachen normalerweise Jiddisch, besonders, wenn sie aus dem Grenzgebiet zwischen Polen, Russland und der Ukraine stammten - aus Galizien.«
»Das heißt, polnische Juden sprachen kein Polnisch?«, fragte Decker.
»Einige wenige gebildete Juden schon; diejenigen, die in der Stadt lebten. Aber die meisten polnischen Juden waren arm und wohnten in diesen kleinen Dörfern in den Grenzgebieten. Sie lebten schon in Ghettos, als es das Ghetto von Warschau noch gar nicht gab. Ist Ihnen das Warschauer Ghetto ein Begriff?«
Sie schüttelten beide den
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