Der Väter Fluch
Klimaanlage auf die höchste Stufe. Aber sie blies nur lauwarme Luft durch die Öffnungen ins Wageninnere. Draußen schmiegten sich kleine Holzhäuser in die Landschaft, manche nicht größer als ein Schuppen. Weiter im Canon passierten sie eine Motorradkneipe, vor der etliche chromblitzende Harleys standen. Bärtige, fette Männer mit nacktem Oberkörper lungerten vor der Kneipe herum; die Bäuche hingen ihnen schwabbelnd über die Hose. Martinez strich sich über den Schnurrbart und nahm den Fuß vom Gas, gerade so viel, dass sie einen Blick auf ein paar der Typen werfen konnten.
»Meinst du, die HVR haben hier draußen Sympathisanten?«
»Den einen oder anderen bestimmt.«
»Lust auf ein Bier, Tom?«
»Sechzig gegen zwei. Danke, ich verzichte.«
Die Männer lachten, aber es klang ein wenig nervös. Sie tauchten immer tiefer in die Wildnis ein, entfernten sich immer weiter von der Zivilisation.
»So auf den ersten Blick würde ich mal sagen, dass Tarpin sich in Goldings Naturcamp wie zu Hause gefühlt haben muss«, sagte Webster. Er starrte auf die Karte, verfolgte die schmalen, unbefestigten Straßen, die er rot nachgezeichnet hatte. »In etwa einer Meile müssen wir nach einem Feldweg Ausschau halten - Homestead Place. Aber es gibt dort keine Straßenschilder.«
»Ich werd die Kilometeranzeige im Auge behalten.«
»Es muss auf der linken Seite sein.«
Schweigend fuhren sie weiter, suchten angestrengt nach der Abzweigung.
Webster kniff die Augen zusammen. »Da drüben - wie wär's damit?«
Martinez ging vom Gas. »So gut wie jeder andere Feldweg.«
Der Wagen kämpfte sich rumpelnd über den steinharten Pfad, und beide Detectives beteten inständig, dass die Reifen das durchhielten. Während sie dem verschlungenen Weg folgten, entdeckten sie behelfsmäßig zusammengeschusterte Hütten und Anbauten in dem niedrigen Wald. Die Bretterbuden hatten zwar eine Adresse, aber die Hausnummern entbehrten jeder Logik. Fünf Minuten später, nach diversen Kehrtwenden und mit viel Glück, fanden sie die angegebene Adresse. Als sie aus dem Wagen stiegen, schlug ihnen sengend die Mittagshitze entgegen. Aber sie war nichts, verglichen mit dem hier herrschenden Gestank.
»Himmel!« Webster hielt sich die Nase zu. »Was auch immer hier hopsgegangen ist, es muss ziemlich groß gewesen sein.«
Martinez lief der Schweiß aus allen Poren, aber nicht nur wegen der Hitze. Er war deutlich grün im Gesicht. »Das ist ja furchtbar! Und dabei haben wir den Mann gestern noch gesehen.«
»Angenommen, es ist Tarpin«, Webster wischte sich das Gesicht mit einem Hemdzipfel ab, »willst du die örtliche Polizei einschalten?«
»Sollten wir uns nicht erst mal vergewissern?«
»Das hat meine Nase schon erledigt.« Martinez warf ihm einen Blick zu.
Webster zuckte gleichgültig die Achseln. »Okay, nach dir.«
»Ich allein? Und wenn mir jemand im Haus auflauert?«
Webster verzog das Gesicht. »Du willst nur, dass ich kotze.«
»Du bist vielleicht ein Waschlappen!«
»Vielen Dank!«
»Okay, lass uns reingehen.«
Die beiden stapften durch die Reste von getrockneten Blättern und totem Laub, spürten, wie sie unter ihren Schuhen zerbröselten. Der Gestank wurde immer unerträglicher und verwandelte sich allmählich in den fauligen Geruch von verwesendem Fleisch und Abfall. Dichte Schwärme schwarzer Fliegen umschwirrten ihre Köpfe, ihr Summen so monoton wie das Mantra eines Mönchs. Webster wedelte sie aus seinem Gesicht.
Die Tür zu Tarpins Hütte stand einen Spalt weit offen. Martinez holte ein Taschentuch hervor, wickelte es um seine Hand und gab der Tür einen kräftigen Stoß.
Weitere Fliegenschwärme kamen ihnen zusammen mit anderen Insekten entgegen - Bienen, Wespen, Mücken, Ameisen, Spinnen, Käfer und Silberfischchen. Sie alle labten sich an Fleisch, Knochen und Blut. Eine große Hausratte huschte über die Holzdielen. Inmitten des Ungeziefers und des Geruchs von Verwesung lag Tarpin in einer schwarz geränderten, dunkelbraunen Lache aus klebrigem, geronnenem Blut und anderen Körperflüssigkeiten. Die Augen waren weit aufgerissen; der Mund stand offen, und Maden krochen durch alle Gesichtsöffnungen. Sein Haar war verfilzt und feucht -eine ideale Brutstätte für alles, was sechs Beine hatte. Tarpin war vollständig bekleidet. Man hatte ihm in den Kopf geschossen.
Martinez zog eine Kamera hervor und begann zu fotografieren. Webster wippte auf seinen Fußballen vor und zurück und spürte plötzlich, wie Lichtblitze
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