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Der Väter Fluch

Der Väter Fluch

Titel: Der Väter Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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dürften.«
    »Da wir beide unter Zeitdruck stehen, möchte ich Sie bitten, mir zu erklären, warum alle so sehr darauf bedacht sind, dass wir miteinander reden«, sagte Decker.
    »Wir übernehmen immer die Gespräche mit der Polizei.«
    »Das wusste ich nicht.«
    »Vielleicht sollte ich Ihnen ein wenig über Merv und mich erzählen. Unsere Therapie gilt auf dem Gebiet der konservativen Psychotherapie als recht unorthodox.«
    »Ich hatte die Psychologie bisher nicht als konservativ eingeschätzt.«
    »Das ist sie aber.« Dee schlug die Beine übereinander. Stoff rieb an Stoff und erzeugte ein raschelndes Geräusch. »In der Praxis kommen die gleichen Methoden und Ansätze wieder und wieder zur Anwendung. Entweder Freud und Psychoanalyse oder Skinner oder eine Variante der behavioristischen Verhaltenstherapie oder Roger und seine klientzentrierte Gesprächstherapie oder eine Form der humanistischen Psychologie - Gestalttherapie. Ferner sind da noch die zahlreichen Therapieansätze, die sich mit Ängsten und Phobien beschäftigen - Hypnose, Meditation oder Entspannungstherapie. Aber kein Bereich der Psychologie hat sich bisher mit der Tatsache auseinander gesetzt, dass wir als menschliche Wesen durch die Domestikation und Urbanisierung unserer wahren Natur beraubt wurden. Wir haben das primitive Leben hinter uns gelassen. Daran ist auch nichts auszusetzen -verstehen Sie mich bitte nicht falsch -, aber es gibt in uns immer noch einen Teil, der sich danach sehnt, in Harmonie mit der Natur zu leben.«
    »Deshalb gibt es die Nationalparks, vermute ich mal.«
    »Camping, Jagd, Angeln...« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das sind Hobbys, aber nichts, womit man seinen Lebensunterhalt verdient. Wir sind solche Großstadtmenschen geworden, dass wir vergessen haben, aus welchem Holz wir geschnitzt sind. Wir können zwar nicht die Uhr zurückdrehen -die Zeit schreitet unaufhaltsam fort -, aber wir müssen uns mit diesem Aspekt unserer animalischen Seite beschäftigen. Wenn wir ihn nicht in konstruktive Bahnen lenken, dann übernehmen die destruktiven Kräfte diese Aufgabe. Wie etwa bei Ernesto Golding. Ernesto ist ein junger Mann, dessen primitus hin zu constructo und nicht zu destrudo geführt werden sollte.«
    Decker lächelte. »Und was bedeutet das?«
    Von der Tür drang dröhnend eine Stimme zu ihnen. »Er muss körperlich gefördert werden! Das heißt es.«
    Decker drehte sich um. Im Gegensatz zu seiner Frau sah Merv Baldwin älter aus als auf dem Computerfoto; er war etwa Mitte fünfzig, was bedeutete, dass ungefähr fünfzehn Jahre zwischen ihm und Dee lagen. Decker wollte keineswegs ein Urteil über ihn fällen, er war schließlich selbst zwölf Jahre älter als Rina -, aber er hatte es durchaus bemerkt. Während Dee als eine Schönheit bezeichnet werden konnte, ließ sich das von Merv nicht gerade behaupten: Der Mann war nicht nur kahl, sondern besaß auch einen dicken Bauch und ein rundes Gesicht mit Hängebacken. Er hatte kurze Gliedmaßen und Finger und mit Sicherheit auch kurze Zehen, denn seine Schuhe Krokoledermokassins mit Quaste - waren relativ klein. Decker fragte sich, wie es ihm gelang, auf solch winzigen Füßen das Gleichgewicht zu halten. Baldwin trug einen teuren, maßgeschneiderten Anzug, der Größe und Applikation am Kragen nach zu urteilen, sicherlich ein Einzelstück. Und er besaß ein gutes Farbgespür: blauer Nadelstreifenanzug, weißes Hemd, goldene Krawatte.
    »Merv Baldwin.« Ein kräftiger Händedruck. »Bitte, entschuldigen Sie meine Verspätung. Große Krise! Kam nicht vollkommen unerwartet, jedenfalls nicht für mich, aber manche der Beteiligten waren doch ziemlich überrascht.« Er begann auf und ab zu gehen. »Also Sie sind der Detective, der Ernesto das Geständnis entlockt hat. Ein schriftliches Geständnis wie auch eines der Seele. Ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass ich mit diesem Treffen nicht einverstanden war.«
    »Ich auch nicht«, erwiderte Decker.
    Baldwin blieb stehen, musterte Decker und setzte sich dann wieder in Bewegung. Decker warf dem weiblichen Part der Baldwins einen Blick zu und versuchte in Dees Gesicht eine Reaktion auf Mervs ständiges Auf- und Abgehen zu lesen. Aber sie war völlig entspannt, als sei das Ganze vollkommen normal.
    »Vielleicht waren wir beide nicht einverstanden, weil wir auf unterschiedlichen Seiten stehen, richtig?«, fragte Merv.
    »Keine Ahnung«, erwiderte Decker. »Wir möchten beide die Wahrheit herausfinden.«
    »Ja, aber

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