Der Väter Fluch
Viel zu riskant.«
»Was haben diese Jungs denn angestellt, um hier zu landen?«
»Bagatellkram... oder auch nur gegenüber den Eltern die Beherrschung verloren. Sie sind zwar ein bisschen auf die schiefe Bahn geraten, aber wenn's hart auf hart kommt, sind sie immer noch die gleichen verwöhnten Muttersöhnchen wie früher. Sie halten sich für unheimlich taff, aber auf der Straße würden sie keine Woche lang durchhalten.« Auf Tarpins kahlem Schädel glitzerten Schweißperlen. »Aber die Baldwins haben auch andere Klienten, die ordentlich Probleme haben. Vielleicht sollten Sie lieber mit denen beginnen.«
»Ich werde mit diesen Jungs hier anfangen.« Decker ging zum Jeep hinüber, um seine Anrufe zu erledigen. »Hauptsächlich deshalb, weil sie nun mal gerade hier sind.« Tarpin blieb ihm dicht auf den Fersen. »Von denen war's keiner. Sie sind alle wie Ernesto. Glauben Sie, ein Junge wie Ernesto wäre zu so etwas fähig?« Er beantwortete die Frage selbst. »Ausgeschlossen. Keiner von denen würde das bringen. Sie werden's schon merken, wenn Sie mit ihnen reden.«
Decker öffnete die Tür des Geländewagens. »Genau das habe ich vor, sobald die Suche nach Dee Baldwin eingeleitet ist - erst die Lebenden, dann die Toten, Corporal.«
Er musste gar nicht erst hineingehen, um zu wissen, was passiert war. Der Boden hatte sich an vielen Stellen dunkel verfärbt, wo das Blut in kleinen Rinnsalen am Boden des wasserdichten Zelts hervorgesickert war. Mehrere fragmentierte Fußabdrücke bildeten eine blutige Spur vom Zelteingang bis zur Abbruchkante des Felsens. Decker markierte sie mit Kreide und blickte den Steilhang hinunter. So weit er sehen konnte, waren dort keine weiteren Spuren vorhanden, aber das hatte nichts zu sagen. Jemand würde hinunterklettern müssen, um die Sache zu überprüfen, denn es sah nicht danach aus, als ob die Fußabdrücke an der Kante endeten. Eigenartig, aber nicht unmöglich.
Vorsichtig ging er über den staubigen Boden zurück und achtete sorgfältig darauf, wohin er seine Füße setzte. Er hob die Zeltklappe an und bückte sich, um einen Blick ins Innere zu werfen, wobei er sich bemühte, möglichst flach zu atmen.
Der Geruch des Todes stieg ihm trotzdem sofort in die Nase. Es stank nach Blut und Innereien, schlimmer als in einem Schlachthaus. Die straff gespannten Zeltwände waren voller Blutspritzer; auf dem Boden standen Pfützen aus rotem und braunem Plasma. Was einmal eine Art Doppelschlafsack gewesen war, hatte sich jetzt in einen Klumpen blutgetränkter Laken verwandelt. Die beiden Leichen lagen nebeneinander auf dem Boden, zusammengekrümmt, die Arme neben dem Körper: Offenbar war ihnen nicht einmal genug Zeit geblieben, sie schützend hochzureißen. Ernestos Oberkörper war nackt; Baldwin trug ein Unterhemd. Ihre übrige Kleidung lag in der Nähe des Zelteingangs auf einem Haufen.
Decker schloss die Augen, um nachzudenken. Eine leichte Übelkeit machte sich in seinem Magen bemerkbar, aber er ignorierte sie. Wenn die dürftige Bekleidung der Opfer zu bedeuten hatte, dass dieses Treffen mehr als nur eine Therapiesitzung gewesen war, so warf das ein ganz neues Licht auf Dee Baldwins Verschwinden. War sie vor den Tätern geflüchtet, oder hielt sie sich vor der Polizei versteckt? Womöglich war sie aber auch einfach nur morgens um sieben zum Einkaufen gefahren.
Er öffnete die Augen. Der Anblick war nicht angenehmer geworden. Die Gesichter der Toten waren bläulichweiß verfärbt und voller Blut. Jemand musste wiederholt auf die beiden geschossen haben, und zwar vermutlich - nach den von Einschüssen übersäten Körpern zu urteilen - im Affekt. Das sah nicht nach einer eiskalten Exekution aus, eher nach einem Wutausbruch -eine anschauliche Demonstration des Wortes Overkill. Die Austrittslöcher der Geschosse hatten die Zeltwände in einen Schweizer Käse verwandelt. Der Durchmesser der Öffnungen ließ darauf schließen, dass es sich bei der Waffe vermutlich um eine Zweiunddreißiger handelte. Der Angreifer musste einen Dämpfer benutzt haben, sonst hätte er viel zu viel Lärm verursacht. Selbst wenn die beiden Opfer noch wach gewesen wären, hätten sie keine Chance zur Gegenwehr gehabt, und wenn sie im Schlaf überrascht worden waren, hatten sie vermutlich nicht einmal mehr mitbekommen, womit sie getötet wurden.
Der Gerichtsmediziner würde später den genauen Zeitpunkt des Todes bestimmen. So wie dieser Fall lag, dürften Deckers Schätzungen jedoch ähnlich präzise
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