Der Väter Fluch
Ernesto sich schon immer gegen jedes Verbot aufgelehnt hatte. Aber das behielt Decker lieber für sich.
»Bin gleich wieder da.« Karl ging ins Zimmer seines toten Bruders. Nach zehn Minuten kam er mit leeren Händen zurück. »Ich hab nichts gefunden. Tut mir Leid. Ich hätte Ihnen gern geholfen, sie festzunageln.«
»Meinst du, die Briefe sind vielleicht im Camp?«, fragte Decker.
»Kann sein.«
»Hat er dir mal einen dieser Briefe gezeigt?«
»Ein- oder zweimal hat er mir ein paar Stellen vorgelesen - irgendwelchen Schweinkram. Ruby hielt sich wohl irgendwie für 'ne tolle Anarchistin. Völlig abgedreht!«
»Und du meinst, sie hätte hinter dieser Geschichte mit der Synagoge gesteckt?«
»Kann gut sein.«
»Und Ernesto hat dir gegenüber auch nach der Tat keine Namen erwähnt?«
»Nein.«
»Auch nicht die Namen von irgendwelchen faschistischen oder anderen rechtsextremistischen Gruppierungen?«
»Nein.«
»Hast du schon mal was von den Hütern der Völkischen Reinheit gehört?« Kopfschütteln. »Erin Kershan?«
»Nein.«
»Darreil Holt?«
»Nö.«
»Ricky Moke?«
»Nein. Tut mir Leid.«
»Weißt du, ob Ernesto vielleicht übers Internet mit irgendwelchen faschistischen Gruppen in Kontakt gekommen ist?«
»Keine Ahnung, wo er mit wem in Kontakt gekommen ist«, sagte Karl. »Ernie war zwar mein Bruder, aber wir sind ziemlich verschieden.«
»Hat er dir jemals einen Grund für die mutwillige Beschädigung der Synagoge genannt?«
»Einen Grund?«
»Mir ist gerade eingefallen, ob das nicht so was wie eine Mutprobe gewesen sein könnte, die er für seine Freundin ablegen musste.«
»Da bin ich überfragt.« Karl sah zu Boden. »Das Einzige, was Ernie dazu gesagt hat, war >Frag mich nicht. Aber die Sache hat ihm trotzdem ganz schön zu schaffen gemacht. Das habe ich genau gemerkt.«
»Hat er angedeutet, dass er in Gefahr ist?«
»Nein, er war nicht ängstlich, eher wütend. Es ging ihm nicht gut.«
»Hat er das gesagt?«, fragte Decker. »Nicht mit Worten. Ich wusste es einfach.«
»Meinst du, er hat dir deshalb nichts erzählt, weil er dich schützen wollte?«
»Kann sein.«
»Aber Ruby Rangers Name ist nie gefallen?«
»Nein. Ich glaube, er war lieber gestorben, als diese dämliche Ziege zu verpfeifen.« Keiner von ihnen sprach aus, was beide dachten: Dass genau das womöglich geschehen war.
17
Während er zum Tatort zurückfuhr, gab Decker weitere Anweisungen durch. Der Empfang über Polizeifunk war wesentlich schlechter als per Handy, aber dafür ließen die Gespräche sich angeblich nicht abhören. Obwohl es doch heutzutage sowieso keine Privatsphäre mehr gab - in diesem Punkt hatten die Technologiegegner eindeutig Recht. »Sind die Leichen noch da?«
»Der Leichenwagen ist vor ungefähr zwanzig Minuten abgefahren«, antwortete Martinez. »Die Polizeifotografin ist aber noch hier. Soll sie auf dich warten?«
»Nein, ich arbeite dann halt mit den Aufnahmen. Hast du die Leichen nach persönlichen Gegenständen durchsucht?«
»Direkt bei ihnen war nichts zu finden. Jetzt durchforsten wir gerade ihr Gepäck. Suchen wir nach was Bestimmtem?«
»Briefe, die Ruby R. an Ernesto geschrieben hat.«
»Wie viele?«
»Drei oder vier vielleicht.«
»Ich werde Tom danach fragen. Ernestos Besitztümer sind bis her allerdings sehr spärlich - ein Schlafsack, eine Feldflasche, ein Aluteller und ein bisschen Besteck. Laut Tarpin die Standardausrüstung.«
»Um den kümmern wir uns später. Wie viele von den Jungs habt ihr inzwischen verhört?«
»Es sind nur zwei dabei, die schon volljährig sind. Tom hat mit beiden gesprochen. Er kann dir mehr dazu sagen.«
»Irgendwas Besonderes?«
»Bisher nicht.«
»Und was ist mit den anderen? Den Minderjährigen?«
»Ich weiß nur, dass Wanda und Tarpin ziemlich lange gebraucht haben, um die Eltern zu informieren. War nicht gerade einfach. Die meisten von ihnen sind nämlich gar nicht zu Hause. Sie haben die Gelegenheit genutzt, um mal ohne Junior in Richtung Karibik zu verduften. Sieben von neun Kids haben freiwillig angeboten, ihr Gepäck durchsuchen zu lassen. Aber die waren natürlich sauber. Wanda hat ihnen vorsichtig ein paar Fragen gestellt. Ich glaube, jetzt sind sie enttäuscht. Die haben wahrscheinlich gedacht, dass wir ihnen als Erstes ihre Rechte vorlesen.«
Decker lächelte. »Sieben von neun, hast du gesagt?«
»Ja, genau. Die anderen beiden sind eher Hardliner. Schon möglich, dass sie was zu verbergen haben. Aber vielleicht sind
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