Der Väter Fluch
fort, »Dinge, die ihm und auch mir Sorgen machten. Ich wüsste gern, ob er mit dir auch über solche Sachen gesprochen hat.«
Karl hob den Kopf. »Worüber denn zum Beispiel?«
»Zum Beispiel über seine heimlichen Phantasien. Hat er dir auch davon erzählt?«
Die Sekunden verstrichen. Eins... zwei... drei... vier...
»Was für Phantasien?«„flüsterte der Junge.
Deckers Gesicht zeigte keinerlei Regung. »Ich frage das nicht, um dir Angst zu machen, sondern um Ernesto besser zu verstehen. Je mehr ich über ihn weiß, desto mehr wird mir das bei den Ermittlungen helfen. Ernesto war interessiert an... nein, das ist das falsche Wort. Er wurde verfolgt von schrecklichen Bildern aus der Nazizeit, Bildern von Gewaltverbrechen. Sie verfolgten ihn, aber gleichzeitig faszinierten sie ihn auch. Diese Bilder machten ihm sehr zu schaffen, aber er konnte sie einfach nicht loswerden. Außerdem hatte er das Gefühl, dass... dass der Vater deines Vaters - Isaac Golding - euch seine wahre Herkunft verheimlicht hatte.«
Schweigen.
»Hat er dir gegenüber jemals etwas in dieser Richtung erwähnt?«
Karl seufzte. »Darf ich fragen, Sir, warum... warum Sie das wissen wollen... Sir?« Immerhin versuchte er höflich zu bleiben. Das war unter diesen Umständen schon eine Menge wert. »Ich frage mich, ob Ernesto vielleicht ein Doppelleben geführt hat und in schlechte Gesellschaft geraten ist. Und ob er versucht hat, da wieder herauszukommen, indem er Dr. Baldwin alles erzählte. Vielleicht wollte jemand diesen Informationsfluss für immer unterbinden.«
»Sie glauben, das könnte der Grund für das sein, was passiert ist?«
»Ich weiß es nicht, Karl. Deshalb muss ich dir ja diese heiklen Fragen stellen.«
»Haben Sie schon mit meinen Eltern darüber gesprochen?«
»Noch nicht.«
»Dann möchte ich Sie bitten, es nicht zu tun.« Der große Junge schluckte. »Ich glaube nicht, dass meine Mom...« Tränen »Sie hat auch so schon genug Kummer.«
»Sag mir einfach, was du weißt. Und dann überlegen wir gemeinsam, wie wir damit weiterverfahren.«
»Erst wenn Sie mir gesagt haben, was Sie wissen... Sir.«
»Gut, einverstanden. Nach dem, was Ernesto mir erzählt hat, lautete der richtige Name eures Großvaters Yitzchak Golding.« Decker sprach den Namen mit dem korrekten Rachenlaut aus -etwas, zu dem er vor fünf Jahren noch nicht fähig gewesen wäre. »Ernesto hat Nachforschungen angestellt und dabei herausgefunden, dass ein gewisser Yitzchak Golding in einem polnischen Konzentrationslager umgekommen ist. Nun ist es natürlich durchaus möglich, dass es mehr als einen Yitzchak Golding gegeben hat. Aber Ernesto hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass euer Großvater heimlich die Identität dieses toten Yitzchak Golding angenommen hatte. Hat er dir gegenüber mal so etwas erwähnt?«
»So was in der Richtung.«
»Du hast also schon mal davon gehört?«, fragte Decker. »Dass dein Großvater ein verkappter Nazi gewesen sein soll?«
»Nicht direkt.«
»Sondern?«
»Ich hab nur gehört, dass Ernesto ein paar... ein paar Fragen hatte. Er ging damit zu Dad. Aber Dad ist ausgerastet, und damit war die Sache für Ernie gegessen.«
Decker hielt den Blick des Jungen fest. »Wenn ich die Sache also deinem Dad gegenüber erwähnen würde, dann wäre das ein wunder Punkt für ihn?«
»Ich glaube, im Moment sollten Sie das lieber nicht tun.«
»Ich werd dran denken. Was ist mit deiner Mutter?«
»Soweit ich weiß, hat er ihr nie etwas davon erzählt.«
»Gut. Dann werden wir sie auch weiterhin aus dieser Sache heraushalten.« Decker strich sich über den Bart. »Was ist mit dir, Karl? Hat er dir gegenüber auch nicht mehr davon gesprochen?«
Der Junge brach plötzlich in Tränen aus. Er schlug die Hände vors Gesicht und rief:
»Es ist alles nur meine Schuld!«
»Aber, nein...«
»Doch, ist es wohl! Ich hätte etwas sagen müssen! Ich hätte etwas tun müssen! Aber ich war mir einfach nicht sicher«
Decker saß stumm daneben, während der Junge herzzerreißend zu schluchzen begann. Sekunden verstrichen, Minuten. Schließlich hatte Karl sich wieder genügend gefangen, um sprechen zu können. »Das Ganze hat mit einem Projekt in der Schule begonnen - dem Familienstammbaum.« Er schniefte geräuschvoll. »Als er darauf zu sprechen kam... und Dad fast ausgerastet ist... da war Ernie klar, dass er irgendwas Schreckliches entdeckt haben musste. Ich hab ihm tausendmal gesagt, er soll die Finger davon lassen. Was geschehen ist, ist
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