Der Väter Fluch
nun mal geschehen. Großvater ist tot, und seit dem Holocaust ist mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen; es hat doch keinen Sinn, das alles wieder aufzuwärmen. Davon werden die Toten auch nicht wieder lebendig. Aber er wollte nicht auf mich hören.«
»Da warst du sicher ganz schön frustriert, was?«
»Eher sauer. Ernie benahm sich fast wie... wie ein Besessener«
Decker nickte verständnisvoll. »Und was hat er dann gemacht?«
»Er wollte herausfinden, wer Opa wirklich gewesen ist. Er hat nach Argentinien geschrieben, nach Berlin, einfach überallhin. Der Gedanke, dass sein Großvater vielleicht ein... ein Nazi war, der ließ ihn überhaupt nicht mehr los. Er lernte ein paar ziemlich merkwürdige Leute kennen. Ich hätte es Dad erzählen sollen. Oder Dr. Dahl. Der wäre bestimmt irgendwas Schlaues eingefallen. Aber dann passierte diese Sache mit der Synagoge. Und Ernie fing die Therapie an. Also hab ich die Klappe gehalten, weil ich dachte, dass man so was vielleicht besser den Experten überlässt.«
»Aber das war doch auch ganz richtig...«
»Nein, war es nicht«, fiel ihm der Junge ins Wort. »Ernie ist tot! Ich hab alles falsch gemacht!«
»Das stimmt nicht, Karl«, sagte Decker. »Das musst du mir einfach glauben.«
Der Junge glaubte ihm nicht, widersprach ihm aber auch nicht.
»Hast du Angst, Karl?«, fragte Decker. »Meinst du, dass du Polizeischutz brauchst?«
»Ich weiß nicht!« Seine Unterlippe zitterte. »Ich weiß es nicht.«
»Kannst du mir irgendwelche Namen nennen?«
»Nein, verdammt noch mal! Ich war froh, wenn ich es könnte, Sir, aber ich weiß keinen einzigen. Ich schwöre es.«
»Ich glaube dir.«
»Die ganze Sache mit der Synagoge...«, sagte Karl. »Ich hatte überhaupt keine Ahnung, dass Ernesto da so tief mit drinsteckte! Ich dachte, er denkt sich das alles nur aus, um vor seiner Freundin den harten Kerl zu markieren.«
»Ruby Ranger.«
»Die Grufti-Queen. Ich wette, sie hat hinter der ganzen Sache gesteckt! Sie ist eiskalt und total durchgeknallt!« Er sah zu Decker auf. »Ich bin nicht der Einzige, der so über sie denkt. Ihr Stiefsohn kann sie auch nicht leiden, wussten Sie das?«
Decker wusste es.
Karl sah weg. »Das hätte ich wohl lieber nicht sagen sollen.«
»Nein, nein, schon in Ordnung. Ich hab damals von mehreren Leuten gehört, unter anderem auch von Jacob, dass Ruby und Ernesto was miteinander hatten.«
»Sie müssen sie verhaften!« Karl sah Decker an. »Sie werden doch mit ihr sprechen, oder?«
»Das Letzte, was wir von ihr gehört haben, war, dass sie gleich nach der Verwüstung der Synagoge die Stadt verlassen hat. Wann hat Ernesto sie denn zuletzt gesehen?«
»Keine Ahnung.«
»Du weißt also nicht, ob sie und Ernesto nach der Geschichte mit der Synagoge weiterhin Kontakt hatten?«
Ein langer, gequälter Seufzer. »Es gab da ein paar Briefe. Ich glaube, ich weiß, wo er sie versteckt hält...« Karl stand auf. »Aber vielleicht hat er sie auch mit ins Camp genommen.«
»Warum hat er die Briefe überhaupt versteckt?«
»Weil meine Mutter hier herumschnüffelt. Ernie hat mal Drogen genommen. Hat sich fast damit umgebracht.«
»Wortwörtlich?«
Karl nickte. »Vor etwa einem Jahr haben wir ihn eines Sonntagmorgens plötzlich bewusstlos auf dem Boden gefunden. War echt ein Wunder, dass er überlebt hat. In der Zeit vorher waren meine Eltern ihm ziemlich auf die Nerven gegangen - College hier und College da, alles drehte sich nur noch ums College. Mach dies, mach das, das ist wichtig für deine Bewerbung zum College. Ernie hat's wirklich ziemlich drauf. Aber das reicht heute nicht mehr unbedingt. Nachdem er dann diese Überdosis genommen hatte, war echt die Hölle los. Meine Eltern standen kurz davor, ihn aufs Internat zu schicken. Aber dann wurden sie plötzlich ein bisschen lockerer.« Der Junge schnippte mit den Fingern. »Wahrscheinlich hat der Therapeut ihnen das geraten. Sie haben überhaupt nichts mehr gemacht, ohne vorher mit dem Therapeuten zu sprechen. Aber Ernie hatte trotzdem das Gefühl, dass sie ihm nicht vertrauten. Also hat er seine Sachen versteckt. Meist nur ein bisschen Gras, aber eben auch persönliche Dinge.«
»Wie zum Beispiel diese Briefe?«
Karl nickte. »Ich versteh einfach nicht, warum Ernie dermaßen auf diese dämliche Ziege abgefahren ist! Ich weiß nur, dass es irgendwie mit Sex zu tun gehabt haben muss. Aber Ernie hatte eine Menge Mädchen. Warum gerade sie?«
Weil sie tabu war, und gefährlich, und weil
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