Der Vampir, den ich liebte
drückte
meinem Onkel die Hand, als wäre ich der ältere, erfahrenere Vampir. »Immerhin
hast du jetzt das Richtige getan. Ich verspreche dir, dass ich mein Bestes tun
werde, um dich vor Lucius' ›Zorn‹ zu schützen.«
»Ich
vertraue darauf, dass du es schaffst, Lucius wieder zu Verstand zu bringen.
Meine ganze Existenz hängt davon ab – und das Schicksal unserer Leute. Denn in
einem Krieg mit den Vladescus ... na ja, in den Jahren des Friedens seit eurer
Verlobungszeremonie sind wir Dragomirs möglicherweise ein wenig verweichlicht.
Trotz unserer momentanen Empörung sind wir einem Krieg mit den Vladescus nicht
gewachsen.«
»Wie
schlimm könnte es für unsere Familie werden?«
»Sie könnte ausgelöscht werden«,
sagte Dorin düster. »Wenn ich Lucius also nicht dazu bringen kann zuzugeben,
dass er mich liebt, und den Pakt zu erfüllen ...?«
»Dann wird es bald keine
Dragomirs mehr geben. So wie sich Lucius
im Augenblick benimmt, kann man nicht davon ausgehen, dass er viel Gnade zeigen
wird.«
Ich lehnte
den Kopf zurück und versuchte, das alles zu verdauen. Meine neue To-do-Liste:
wütende Dragomir-Vampire besänftigen. Meinen doch nicht vernichteten, widerspenstigen,
wild gewordenen Verlobten zurückgewinnen. Einen unmittelbar bevorstehenden
Krieg verhindern.
Ich
streichelte den Blutstein an meinem Hals. Ich war bereit, mich der
Herausforderung zu stellen. Mir blieb nichts anderes übrig.
Das
Flugzeug geriet in eine Turbulenz und wir wurden mehrmals durchgeschüttelt. So
heftig, dass etliche Passagiere aufschrien.
Dorin nahm
meine Hand und lächelte. »Willkommen daheim in Rumänien, Prinzessin
Antanasia.«
Kapitel 60
Angesichts
all dessen, was Lucius mir über das Leben in Burgen, feinste Speisen und
maßgeschneiderte Kleider erzählt hatte, war ich ein wenig überrascht, am Ende
in einem zerbeulten Fiat Panda, der auf nur dreien seiner vier Zylinder
tuckerte, über die holprigen Straßen des ländlichen Rumänien zu zuckeln.
Ȁhm,
Dorin«, sagte ich und klammerte mich ans Armaturenbrett, während mein Onkel
sich einmal mehr die Gänge mit Gewalt gefügig machte. »Ich dachte, wir wären
Vampiradel.«
Dorin
nickte mir zu. »In der Tat. Hervorragender Stammbaum.«
»Dann ...
was soll dann dieses Auto?«
»Oh. Das.
Dieses Auto sagt selbstverständlich nichts über unsere Herkunft aus. Es ist
lediglich eine temporäre Manifestation unserer einigermaßen ... ähm,
reduzierten Umstände.« Er riss das Lenkrad herum und versuchte, einem
Schlagloch auszuweichen, während wir in die Karpaten hinauffuhren.
Die Berge
bildeten einen scharfen Kontrast zu den Appalachen, die sich in sanften
Anhöhen durch Pennsylvania zogen. Die Karpaten hingegen waren steil, felsig und
gezackt und stellten den Anspruch der Appalachen, ein Gebirge zu sein,
ernsthaft infrage. Von Zeit zu Zeit führte die Straße vorbei an atemberaubenden
Abgründen und schlängelte sich dann durch dichte, schattige Wälder, wo, wie Dorin
mir versicherte, noch immer Bären und Wölfe umherstreiften. Schiefe Häuschen,
behagliche kleine Kapellchen und gut besuchte Gasthäuser säumten die schmalen
Straßen. All das rauschte an mir vorüber und einen Augenblick später befanden
wir uns wieder in der Wildnis.
Ich konnte
verstehen, warum Lucius sein Heimatland vermisst hatte: die Märchendörfer; das
Gefühl, dass die Zeit stehen geblieben war; der überwältigende Eindruck, Teil
einer rätselhaften, verborgenen Welt zu sein, einer geheimen, wilden Enklave,
vergessen von der modernen Welt.
»Halt dich
fest«, riet Dorin mir, als er von der Hauptstraße, der wir seit Bukarest
gefolgt waren, abbog und auf einen noch schmaleren Feldweg holperte.
Wir
ruckelten über den Pfad, sodass ich gegen die niedrige Decke des Fiat stieß.
»Autsch.« Ich rieb mir den Kopf. »Ist das wirklich das Beste, was wir uns
leisten können?«
»Na ja, ich
hab's dir doch erzählt. Der Clan hat harte Zeiten durchgemacht. Den Mercedes
haben wir schon vor Jahren verkauft. Aber der Fiat ist sehr verlässlich. Ich
kann nicht klagen. Überhaupt nicht.«
Ich schon.
Wie sollte ich meinen geziemenden Platz als Vampirprinzessin einnehmen, wenn
mein Transportmittel die Größe eines Golfwägelchens hatte und einen Motor, der
klang, als gehöre er zu einem Tischventilator?
Einige Zeit
fuhren wir schweigend weiter, bis wir eine Anhöhe überwanden und sich vor uns
in der Ferne eine große Ansammlung von terrakottafarbenen Dächern auftat, die
im Sonnenuntergang leuchteten.
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