Der Vampir, den ich liebte
der alte Mann.
»Mihaela!«
Ich verstand
die Worte Mihaela Dragomir – und konnte mir denken, worum es in diesem Gespräch
ging, selbst wenn mir die Sprache völlig fremd war.
»Da,
da«, pflichtete
Dorin ihm bei. Er schien die Geduld mit dem Mann zu verlieren und scheuchte ihn
weg. »Comanda, va rog. Unser Essen, bitte.«
Der Mann
humpelte davon, schaute aber immer wieder über seine Schulter zu mir herüber,
während er unsere papanasi zubereitete.
»Er
erinnert sich an deine Mutter«, flüsterte Dorin mir zu. »Er denkt, du bist ihr
Geist. Ihre fantoma. Daran solltest du dich gewöhnen.«
Ich fühlte
mich gleichzeitig geschmeichelt und etwas unwohl,
dass man mich mit meiner leiblichen Mutter verwechselte. Dann fiel es mir wie
Schuppen von den Augen: Der Mann glaubte, ich wäre ein Vampir. Er war von klein
auf mit der Existenz von Vampiren konfrontiert worden. Und er hatte bereits
gelebt, als meine Eltern vernichtet worden waren. Vielleicht hatte er an den
Säuberungen teilgenommen ... Der argwöhnische Blick des alten Mannes verriet
mir, dass ich nicht nur eine Kuriosität war; ich war eine potenzielle
Bedrohung. Plötzlich fühlte ich mich verletzbar, hoch oben in den Karpaten,
ohne den Schutz von Mom und Dad, allein in einem klaustrophobischen Restaurant
mit einem Onkel, den ich kaum kannte, und einem Fremden, der mich für eine
blutsaugende Bestie hielt, die man wahrscheinlich am besten sofort vernichtete.
Der alte
Mann reichte Dorin unser Essen, mein Onkel gab ihm einige Münzen. Der Besitzer
musterte mich noch immer voller Argwohn.
»Komm«, sagte
Dorin und führte mich zur Tür. »Lass dich davon nicht verunsichern. Natürlich
werden einige der älteren Leute dich erkennen. Du siehst genauso aus wie sie.
Es wird eine Weile dauern, bis sie begreifen, dass du ihre Tochter bist, die
nach Hause zurückgekehrt ist.«
Wir
verließen das Restaurant, ich starrte auf die Straße und versuchte, diesen
unvertrauten Ort als »Zuhause« zu betrachten.
»Wir
sollten gehen«, drängte Dorin mich sanft. »Es wird dunkel und die Straße ist
gefährlich.«
Ich zwängte
mich in den kleinen Wagen und kostete die papanasi; ich biss in den
knusprigen, gezuckerten Kloß, der im Inneren mit warmem, klebrigem Käse gefüllt
war. »Mmm ...« Seufzend schloss ich die Augen und genoss den Leckerbissen,
mutiger jetzt und getröstet von warmem Essen im Magen.
»Gut?«
Dorin schien sich zu freuen. Er legte den ersten Gang ein und bog auf die
inzwischen fast verlassene Straße.
»Sehr gut«,
sagte ich und fischte einen weiteren Kloß aus der Papiertüte. »Viel besser als
veganer Kuchen.«
»Das ist übrigens
Lucius' Lieblingsgericht«, bemerkte Dorin. »Er mag sie am liebsten aus diesem
Restaurant.«
Langsam
leckte ich mir den Zucker von den Fingern und beobachtete, wie die Stadt an
meinem Fenster vorbeizog. Lucius hätte dort sein können. Ich hätte in dieses
Restaurant treten und den Mann, um den ich getrauert hatte, gesund und munter
dort vorfinden können. »Lebt Lucius hier in der Nähe?«, erkundigte ich
mich. »Wie nah sind wir genau? Minuten? Eine halbe Stunde?«
»Sehr nah«,
antwortete Dorin und warf mir einen Blick zu. Er klang ein wenig nervös. »Du
... du hast doch nicht vor vorbeizufahren, oder?«
»Ich will
nur mal sein Zuhause sehen ...« Eine plötzliche Furcht überkam mich. Ich war
ängstlich und gleichzeitig furchtbar aufgeregt. »Glaubst du, er ist zu Hause?« Will
ich, dass er zu Hause ist? Bin ich schon bereit dafür?
»Ich glaube
nicht«, vermutete Dorin und ich spürte eine Woge der Erleichterung. So
verzweifelt ich mir wünschte, Lucius zu sehen, wusste ich doch, dass ich mich
zuerst auf das Treffen vorbereiten musste. Ich wollte mich nicht nur nach dem
langen Flug frisch machen, ich musste mich auch mental vorbereiten. Darauf, dem
Lucius gegenüberzutreten, den Dorin mir im Flugzeug beschrieben hatte. Dem
Lucius, der seinen Onkel vernichtet hatte, der einen Krieg heraufbeschwor und
den Einheimischen Angst machte. Dem Lucius, der imstande war, meine Familie ohne
Gnade »auszulöschen«.
»Er ist in
letzter Zeit häufig draußen bei seinen Truppen«, fügte Dorin hinzu. »Auf dem
Feld.«
»Treffen
wir auch schon Vorbereitungen?«, fragte ich, besorgt über diese Information.
»Ein wenig
...« Dorins Stimme verlor sich. »Nein, nicht wirklich. Nicht so organisiert,
wie Lucius es tut. Er ist ein Krieger, der eine Armee erschafft. Wir sind mehr
wie eure amerikanischen Siedler: aufrechte, wenn
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