Der Vampir, den ich liebte
läge hinter ihnen keine Seele, die ihnen
Leben gab.
In meinem
Rücken schienen die Dragomirs zu erstarren, als sie ihren Feind in ihrer Mitte
sahen.
»Die
Sicherheitsvorkehrungen hier sind eine Spur lasch«, bemerkte Lucius. Er stieß
sich vom Türrahmen ab und stolzierte an mir vorbei in den Raum hinein, ohne mich
eines Blickes zu würdigen. Stattdessen musterte er die sichtbar abgenutzten
Möbel mit der gleichen Geringschätzung, die er vor einigen Monaten in der Küche
unseres Bauernhauses zur Schau gestellt hatte. Nur war es diesmal nicht die
natürliche, fast schon unschuldige Arroganz eines Jungen, der in Reichtum und
Luxus aufgewachsen war und nichts anderes kannte, sondern vorsätzliche
Verachtung. »Ich wollte mich für die Führung anmelden«, fügte er hinzu. »Aber
ich konnte nicht bis morgen früh um zehn warten, um dich zu sehen, Jessica.«
Ich starrte
ihn mit einer Mischung aus Zorn und Entsetzen an. Er wusste, dass mein
amerikanischer Name an diesem Ort einer Beleidigung gleichkam. Und er war so
kalt. »Sprich nicht so mit mir«, sagte ich. »Es ist grausam und ich weiß, dass
du so nicht bist.«
Er weigerte
sich noch immer, mir in die Augen zu sehen, und hielt den Blick bewusst
abgewandt. »Ach nein?«
»Nein.« Ich
ging auf ihn zu, weil ich nicht länger zulassen konnte, dass er die Kontrolle
an sich riss. Dies war kein Highschool-Tanz, bei dem er die Führung übernehmen
konnte. Er befand sich im Haus meiner Familie. So erschüttert ich war, ihn so
unerwartet zu sehen, so verändert – ich
würde mich nicht einschüchtern lassen. Nicht so wie meine Verwandten hinter mir,
die auf ihren Stühlen saßen und zitterten. »Du bist nicht grausam, Lucius.«
Wir standen
einander jetzt sehr nahe gegenüber, so nahe, dass ich dieses anziehende,
exotische Rasierwasser riechen konnte, das er während seiner Zeit als
amerikanischer Schüler irgendwann nicht mehr benutzt hatte. Lucius der
Kriegerprinz war zurück, in jeder Hinsicht. Oder zumindest wollte er, dass ich
das glaubte.
»Warum bist
du gekommen?«, fragte Lucius mich sehr leise, sodass meine Verwandten es nicht
hörten. Er sah mir noch immer nicht in die Augen. »Du musst wieder gehen,
Jessica.«
»Nein.
Nein, Lucius, das werde ich nicht tun.«
Da drehte
er sich zu mir um und für einen Moment sah ich so etwas wie Traurigkeit – Menschlichkeit – in seinen Augen. Doch dann ging er um mich herum und stellte
den alten Abstand wieder her – körperlich wie emotional. Ich sah, dass es ihm
nicht leichtfiel, seine Gefühle im Griff zu behalten. Mich uni Armeslänge von
sich fernzuhalten. Zumindest hoffte ich, dass es ihm nicht leichtfiel. Die
Kälte, die Unzugänglichkeit: Sie wirkten so real.
»Du hast
mein Haus beobachtet«, bemerkte er, wobei er begann, den Tisch zu umkreisen wie
ein Falke, der nach einem Kaninchen Ausschau hält. Während er an meinen
Verwandten vorbeiging, sanken sie sichtlich in sich zusammen. Verzweifelt
wünschte ich mir, sie würden damit aufhören.
»Woher
weißt du das?«
»Am
Vorabend eines Konfliktes ist es weise, wachsam zu bleiben«, riet Lucius mir.
Seine Stimme wurde noch härter, als er auf den Krieg zu sprechen kam und in
seine Rolle als General schlüpfte. Mir entschlüpfte. »Natürlich habe ich Wachen an
den Grenzen meines Besitzes stehen. Deine Familie liegt mir endlos in den
Ohren, jammert wegen des nicht erfüllten Paktes und behauptet, ich hätte die
Macht niemals teilen wollen ... Und je öfter sie das sagen, umso mehr frage ich
mich: Warum teilen, was ich mir mit Gewalt nehmen kann? Ich bin in der Tat
nicht abgeneigt, ein wenig Blut zu vergießen, wenn es meinen Zwecken dient.«
»Lucius,
das meinst du nicht ernst.«
»Doch, das
tue ich«, widersprach Lucius und legte die Hände auf die Rückenlehne von Dorins
Stuhl. Mein Onkel begann, am ganzen Körper zu zittern. Ich wusste, dass er
furchtbare Angst hatte, Lucius könnte ihn vernichten, gleich an Ort und Stelle,
weil er mich nach Rumänien geholt hatte. »Hast du jemals erlebt, dass ich
scherze, wenn es um Macht geht, Dorin?«
Mein Onkel
sagte nichts.
Lucius
beugte sich dicht über ihn und sprach direkt in sein Ohr. »Mit dir werde ich
mich später beschäftigen, weil du meinen Befehl missachtet und sie
hierhergebracht hast.«
»Halte dich
von ihm fern«, befahl ich. »Du bist hier, um mich zu sehen. Wage es ja nicht,
meine Familie in unserem eigenen Haus anzurühren.«
Lucius ließ
den Blick wieder durch den Raum wandern. »Wenn all dies
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