Der Vampyr
nachdem Andrej sie um seine Schulter gelegt hatte, schmiegte er sich enger an ihn. Nach einer Weile hörte er auf zu zittern und nach einer weiteren Weile schloss er die Augen und seine Atemzüge wurden langsamer. Er war eingeschlafen. Und wenigstens für diesen kurzen Augenblick war er nicht mehr als ein verängstigtes, frie-rendes Kind, das sich im Schlaf an die Schulter eines Erwachsenen kuschelte. Vielleicht waren es die letzten Tage seines Lebens, in denen er noch Kind sein durfte.
4
Obwohl er es nicht gewollt hatte, war er doch noch eingeschlafen, wenn auch nur kurz. Er erwachte, als sich das Schiff mit einer schwerfälligen Bewegung und einem Geräusch, das an das Seufzen eines müden Wals erinnerte, leicht auf die Seite legte und den Bug in die Strömung drehte. Irgendwo über seinem Kopf erklang ein schweres, nasses Klatschen und graues Licht drang durch seine halb geschlossenen Lider. Etwas stieß unsanft in seine Rippen. Andrej hob widerwillig die Lider und war nicht überrascht, Abu Dun mit finsterem Gesicht über sich aufragen zu sehen. Der Pirat trug jetzt wieder seinen Turban und aus seinem Gürtel ragte der Griff eines gewaltigen Krummsäbels, auf den er die linke Hand gelegt hatte..
»Wach auf, Hexenmeister«, sagte Abu Dun und stieß ihn abermals mit dem Fuß an; diesmal so hart, das es wehtat.
»Es ist heller Tag und es geziemt sich nicht, das mein Leibwächter wie ein Hund hier oben an Deck schläft.«
»Mein Name ist Andrej «, murmelte der Angesprochene verschla-fen.
»Und ich bin noch nicht dein Leibwächter. Erst wenn wir unser Ziel erreicht haben.« Die Nacht war einem Tag gewichen, der nicht wirklich ein Tag war. Klamme Feuchtigkeit hüllte das Schiff ein und die Umgebung war hinter einer grauen Wand verschwunden. Nebel war aufgekommen und es war sehr kalt. Andrej wartete einen Moment lang vergeblich darauf, das Abu Dun irgendetwas erwiderte, dann stand er vorsichtig auf, breitete die Decke über Frederic aus, der ungerührt weiterschlief, und entfernte sich ein paar Schritte.
Abu Dun folgte ihm. Er sagte nichts, aber in seinen Augen funkelte es spöttisch. Andrej sah sich mit ärgerlich gerunzelter Stirn um.
Abu Duns Männer hatten das Segel gesetzt und arbeiteten schnell, aber sehr präzise, um das plumpe Schiff endgültig in die Strömung zu drehen. Sie hatten bereits Fahrt aufgenommen, aber Andrej konnte das Ufer so wenig sehen wie in der Nacht, denn es wurde anstelle der Dunkelheit nun von einer Wand aus wattigem grauem Nebel verborgen.
»Was soll das, Abu Dun?«, fragte er.
»Soll ich ein paar Knoten für dich knüpfen oder deinen Männern helfen, die Segel zu setzen?« Abu Dun ignorierte seine Worte einfach. Er war wieder stehen geblieben und sah nachdenklich auf Frederic hinab, der sich im Schlaf in die Decke eingedreht und auf die Seite gewälzt hatte.
»Was ist das mit dir und diesem Jungen?«, fragte er.
»Ist er wie … wie du?«
»Nein«, antwortete Andrej. Er war ziemlich sicher, das Abu Dun spürte, das er log. Trotzdem fuhr er fort:
»Er ist nur ein junge. Ich mag ihn, das ist alles. Vielleicht, weil er so einsam ist wie ich. Er hat niemanden, weißt du?« Abu Dun schwieg eine ganze Weile. Dann sagte er etwas, das Andrej erschreckte:
»Du solltest dich nicht zu sehr an ihn binden, Deläny. Der junge ist nicht gut. Etwas Dunkles lauert in seiner Seele.«
»Du bist also nicht nur Pirat und Sklavenhändler, sondern kannst auch in die Seelen von Menschen blicken.« Der Spott klang selbst in Andrejs Ohren schal, und Abu Dun machte sich nicht einmal die Mühe, darauf zu antworten. Er sah nur den schlafenden jungen einige Augenblicke lang an, dann deutlich länger Andrej und machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Der Himmel wird sich lichten, sobald die Sonne ganz aufgegangen ist«, sagte er.
»Das Wetter wird gut heute. Wenn wir günstigen Wind haben, werden wir ein gutes Stück Weg schaffen. Wir müssen …« Er unterbrach sich, als ihm einer seiner Männer etwas zurief. Andrej verstand nicht was, aber auf Abu Duns Gesicht erschien ein überraschter, vielleicht auch erstaunter Ausdruck.
»Probleme?«, fragte er spöttisch. Abu Dun winkte ab, aber diesmal wirkte es eindeutig ärgerlich.
»Nichts, was dich beunruhigen müsste«, sagte er harsch.
»Hast du nicht selbst gesagt, das du nichts von der Seefahrt verstehst?«
»Aber ich bin für Euer Wohl verantwortlich, Herr«, sagte Andrej spöttisch.
»Also gestattet mir, das ich mir Sorgen mache.«
»Mach dir
Weitere Kostenlose Bücher