Der Vampyr
zurückziehen. Dort ist es sicherer. Die Stadt ist befestigt. Nicht sehr gut, aber sie ist befestigt. Vielleicht scheint sie den Türken nicht lohnend genug, um sie zu belagern und zu stürmen.«.
»Und Dracul selbst?« Vlad hob die Schultern.
»Es heißt, er käme im Laufe des Tages zurück, um noch einmal mit dir zu reden. Aber ich weiß es nicht. Er teilt mir seine Pläne nicht mit.« Er wandte sich wieder zur Tür.
»Ich komme später noch einmal und bringe euch Wasser. Mehr kann ich nicht für euch tun.« Aber vielleicht war das schon mehr, als sie verlangen konnten. Vlad kam noch zweimal an diesem Tag, einmal um das versprochene Wasser und einmal, um ein wenig Brot zu bringen, mit dem er sie zu gleichen Teilen fütterte. Abu Dun weigerte sich am Anfang zu essen, aber Andrej überredete ihn schließlich dazu. Es war entwürdigend, wie ein hilfloser Säugling gefüttert zu werden. Die Situation war Andrej ebenso peinlich wie ihm. Aber allein der Umstand, das sie angekettet waren und sich nicht von der Stelle rühren konnten, brachte einige noch viel peinli-chere Dinge mit sich. Abu Dun beugte sich schließlich seinem Argument, das sie womöglich jedes bisschen Energie brauchen würden, das sie bekommen konnten. Beim dritten Mal - es war schon später Nachmittag - war es nicht Vlad, der die Treppe herunterpol-terte, sondern Vladimir Tepesch. Dracul. Er trug auch jetzt seine bizarre blutfarbene Rüstung, obwohl es eine schiere Qual sein muß-
te, sich den ganzen Tag über darin zu bewegen. Er kam nicht allein, sondern in Begleitung Vlads und drei weiterer Männer.
»Ich sehe, ihr habt die Nacht in meinem bescheidenen Gästehaus genossen«, begann er spöttisch.
»Hattest du Zeit, über meinen Vorschlag nachzudenken?«
»Das hatte ich«, antwortete Andrej.
»Und?«
»Fahr zur Hölle.« Tepesch lachte.
»Nein, ich fürchte, diese Gnade wird Gott mir nicht erweisen«, sagte er.
»Dort würde ich mich vermutlich wohl fühlen. Also fürchte ich, das ich in den Himmel komme, um dort für alle Ewigkeiten Höllenqua-len zu erleiden.«
»Du langweilst mich«, sagte Andrej. Er starrte an Dracul vorbei ins Leere. Tepesch lachte.
»Oh, mir würden da schon ein paar Dinge einfallen, um unsere Un-terhaltung etwas kurzweiliger zu gestalten«, sagte er.
»Ich fürchte nur, das leider unsere Zeit dazu nicht reicht.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf Abu Dun.
»Seine Brüder sind auf dem Weg hierher. Sie sind noch eine gute Strecke entfernt. Wir müssen uns an einen sichereren Ort zurückziehen. Aber grämt Euch nicht, lieber Freund. Wir werden unterwegs viel Zeit haben, um zu reden.«
»Was hast du mit Frederic gemacht?«, fragte Andre’.
»Deinem jungen Freund? Nichts. Es war nicht notwendig. Der junge ist viel einsichtiger als du. Ich glaube, das wir Freunde werden könnten.« Genau das war die größte Angst, die Andrej hatte. Er machte sich schwere Vorwürfe, nicht schon längst und ganz offen mit Frederic gesprochen zu haben. Das Schicksal hatte dem jungen einen grausamen Streich gespielt, ihm seine Unverwundbarkeit so früh zu schenken. Er hatte noch nicht einmal Zeit genug gehabt, herauszufinden, wer er war. Wie sollte er da begreifen, was er war.
Nicht einmal Andrej wußte es genau. Wenn Frederic unter den Ein-fluss eines Ungeheuers wie Tepesch geriet … Andrej wagte sich nicht einmal vorzustellen, was dann aus ihm werden konnte.
»Nun, ich erwarte jetzt keine Antwort von dir«, fuhr Tepesch fort, als Andrej beharrlich schwieg.
»Wir brechen gleich auf. Bis dahin müssen wir allerdings dafür sorgen, das ihr wieder einigermaßen menschlich ausseht. Und riecht.«
Er gab Vlad einen Wink.
»Wascht sie und gebt ihnen saubere Kleider. Ich erwarte euch unten am Fluss.«.Er ging. Vlad und die drei anderen Männer blieben zu-rück und ketteten erst Abu Dun und dann Andrej los, waren aber dabei sehr vorsichtig, sodass Andrej nicht die geringste Chance gehabt hätte, einen Ausbruchsversuch zu wagen, selbst wenn er die nötige Kraft dazu besessen hätte. Sie wurden unsanft aus dem Keller nach oben befördert, wo erst Abu Dun und dann ihm die Kleider von Leib gerissen wurden. Dann tauchte man sie in einen be-reitstehenden Zuber mit eiskaltem Wasser, bis sie einigermaßen sauber waren; allerdings auch halb erstickt. Sie bekamen neue Kleider und Vlad nutzte die Gelegenheit gleich, um Abu Duns schlimmste Wunden zu verbinden, was den Piraten mit einigem Erstaunen zu erfüllen schien. Anschließend wurden ihre
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