Der Vampyr
ein Mann schwer zu schätzenden Alters mit einem scharf geschnittenen, harten Gesicht und dunklen Augen, etwas größer als Andrej, aber auch deutlich schlanker. Er hatte einen wachen Blick, der einen schärferen Geist verriet, als sein zerlumptes Äußeres und seine Art, sich zu geben, vermuten ließen.
Andrej traute ihm nicht - und wie konnte er? - aber er hütete sich auch, ihn gleich als erbitterten Feind einzustufen. Der Grat zwischen angezeigter Vorsicht und krankhaftem Misstrauen war schmal.
»Vielleicht könntest du tatsächlich etwas für mich tun«, sagte er.
»Da war ein Junge bei uns. Sein Name ist Frederic. Ich möchte wissen, was ihm geschehen ist.«
»Ich werde keine Fragen stellen«, sagte Vlad.
»Dabei verliert man zu schnell seine Zunge. Aber ich werde die Ohren offen halten. Vielleicht höre ich etwas.«
»Danke«, sagte Andrej.
»Und ein Schluck Wasser wäre vielleicht doch nicht schlecht.«
9
Vlad kam tatsächlich nach einiger Zeit zurück und brachte ihnen Wasser und ein kleines Stück Brot. Doch ansonsten blieben sie für den Rest der Nacht allein. Andrej schlief ein paar Mal ein, wachte aber immer wieder durch die Schmerzen auf, die durch die Art seiner Fesselung verursacht wurden. Seine Handgelenke schmerzten unvorstellbar. Jeder Muskel von seinen Schultern aufwärts war ver-krampft und gefühllos. Was Abu Dun erleiden mochte, wagte er sich nicht einmal vorzustellen. Der Pirat hatte die ganze Nacht über hohes Fieber und fantasierte laut in seiner Muttersprache, aber als sich in dem kleinen Fenster über ihnen das erste Morgenlicht zeigte, erwachte er aus seinem Fiebertraum. Seine Augen waren dunkel vor Schmerz und sein Gesicht sah nun viel mehr grau als schwarz aus; aber zumindest schien er das Fieber überwunden zu haben.
»Hexenmeister«, murmelte er.
»Ich wollte, ich könnte sagen, das ich mich freue, dich zu sehen.
Aber das wäre eine Lüge.« Er sprach so undeutlich, das Andrej Mühe hatte, ihn zu verstehen, denn seine Lippen waren unförmig geschwollen. Seine Zähne waren rot von seinem eigenen, einge-trockneten Blut.
»Und ich freue mich, das du noch lebst«, antwortete Andrej.
»Wahrscheinlich fragst du dich, warum«, nuschelte Abu Dun.
»Wenn du die Antwort gefunden hast, verrate sie mir. Ich habe noch nie gehört, das Tepesch einen Muslim am Leben gelassen hät-te. Und wenn, hat sich dieser vermutlich gewünscht, er hätte es nicht getan. «.Er versuchte sich aufzurichten und stieß einen keu-chenden Schmerzenslaut aus, als die eisernen Fesseln in seine wundgescheuerten Handgelenke schnitten.
»Du wusstest also, wer er ist«, sagte Andrej.
»Ich habe von ihm gehört«, brachte Abu Dun stöhnend hervor.
»Der Schwarze Engel ist der schlimmste der Drachenritter. Aber ich wußte nicht, das er es ist. Es heißt, das nicht viele Menschen sein Gesicht bisher gesehen haben.«
»Woher weist du dann … «
»Weil ich nicht taub bin«, unterbrach ihn Abu Dun.
»Ihr habt laut genug geredet.«
»Du hast den Bewusstlosen gespielt?«
»Das erschien mir angeraten«, antwortete Abu Dun.
»Es macht keinen Spaß, einen Mann zu quälen, der den Schmerz nicht spürt. Ich bin kein sehr tapferer Mann, habe ich dir das schon erzählt?«
»Du bist ein Lügner.« Abu Dun versuchte noch einmal, in eine andere Position zu gelangen, und diesmal schaffte er es.
»Ich hoffe, du überlegst dir deinen Standpunkt noch einmal. Ich bin nicht versessen darauf, Draculs Erfindungsreichtum kennen zu lernen.«
»Glaubst du etwa, er würde dich am Leben lassen?«, fragte Andrej.
»Oder auch nur sein Wort halten?«
»Nein«, gestand Abu Dun nach kurzem Überlegen. Er rang sich ein gequältes Grinsen ab.
»Wenn du wirklich ein Hexenmeister bist, wäre jetzt vielleicht der Moment, ein paar deiner Zaubertricks vorzuführen.«
»Wenn ich zaubern könnte, wären wir nicht hier antwortete Andrej.
»ja, auch das habe ich befürchtet«, seufzte Abu Dun.
»Und was tun wir jetzt?«
»Abwarten«, antwortete Andrej.
»Es sei denn, du hast eine bessere Idee.«
»Nein«, sagte Abu Dun.
»Was habe ich nur getan, das Allah mich so bestraft?«
»Ich könnte es dir erklären«, antwortete Andrej.
»Doch ich fürchte, dazu reicht unsere Zeit nicht.« Er bewegte vorsichtig die Hände. Es tat sehr weh, aber entgegen seiner eigenen Erwartung konnte er es. Prüfend zerrte er an der Kette, begriff aber sofort, wie sinnlos es war. Sie war stark genug, einen Ochsen zu halten.
»Das hat keinen Zweck«,
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