Der Vampyr
sagte Abu Dun.
»Dracul hat gesehen, wozu du fähig bist. Und der junge auch. Ich habe es übrigens ebenfalls gesehen.« Andrej schwieg, obwohl er die Botschaft durchaus verstand, die sich in dieser harmlos erscheinen-den Bemerkung verbarg.
»Lass mich nicht dumm sterben, Hexenmeister«, sagte Abu Dun nach einer Weile.
»Erzähle es mir. Das bist du mir schuldig.«
»Du wirst nicht sterben«, beharrte Andrej.
»Und ich bin dir nichts schuldig.«
»Über eine dieser beiden Behauptungen können wir jetzt lange streiten«, sagte Abu Dun.
»Also?«
»Ich kann es nicht«, sagte Andrej.
»Glaub mir. Ich kenne das Geheimnis selbst nicht. Eines Tages bin ich aufgewacht und … und es war einfach so.« Er zögerte einen Moment.
»Malthus … der goldene Ritter, den ich getötet habe, er hat mir einiges erzählt. Aber ich weiß nicht, ob es die Wahrheit ist.«
»Ich habe es gesehen«, sagte Abu Dun.
»Der Junge hat Blut getrunken. Und nicht das erste Mal.«.Andrej wußte, was er damit sagen wollte, überging es aber.
»Es ist nicht seine Schuld«, sagte er.
»Ich wußte es nicht, aber er muss wohl gesehen haben, was bei Malthus’ Tod geschah. Er hat es falsch verstanden. Er mußte es falsch verstehen. Wenn überhaupt, dann trage ich die Schuld. Ich hätte es ihm erklären müssen.«
»Was? Das ihr Blut trinken müsst, um am Leben zu bleiben?«
»Aber so ist es nicht!« Andrej war selbst ein wenig über die Heftigkeit erschrocken, mit der er widersprach.
»Nicht wirklich.«
»Dann habe ich mir nur eingebildet, es gesehen zu haben.«
»Nein. Aber es bringt uns keine Kraft, das Blut eines normalen Menschen zu trinken. Es muss einer der unseren sein. Jemand, der so ist wie wir. Ich wußte es selbst nicht, bevor ich Malthus’ Blut getrunken habe.« Selbst bei der Erinnerung an das schreckliche Erlebnis seiner ersten Transformation begann seine Stimme zu zittern.
Es war grauenhaft gewesen, die entsetzlichste -und zugleich berau-schendste - Erfahrung seines bisherigen Lebens. Er konnte Abu Dun unmöglich erklären, was er gespürt hatte, denn er verstand es selbst nicht genau. Aber er versuchte es.
»Ich habe lange Zeit geglaubt, ich wäre der Einzige«, sagte er.
»Ich wußte nicht, das es mehrere wie mich gibt. Und ich wußte nicht, das wir das Blut eines der unseren trinken müssen. Vielleicht ist das der Preis, den wir für das bezahlen, was wir sind.« Abu Dun kniff eines seiner zugeschwollenen Augen noch weiter zu.
»Ihr müsst euch gegenseitig töten, um am Leben zu bleiben? Das glaube ich nicht.«
»Es ist aber so«, beharrte Andrej.
»Ich glaube nicht einmal, das es das Blut ist. Es ist wohl nur eine Art … Symbol, wenn du so willst. Es ist die Lebenskraft, die wir aufnehmen.«
»Das ist unmöglich«, beharrte Abu Dun. Obwohl es ihm Schmerzen bereiten mußte, schüttelte er heftig den Kopf.
»Wenn es so wäre, dürftest du gar nicht hier sein. Ihr hättet euch längst gegenseitig ausgerottet.«
»Vielleicht ist es der einzige Grund, aus dem wir euch noch nicht ausgerottet haben«, antwortete Andrej. Darüber mußte Abu Dun eine Weile nachdenken. Schließlich sagte er:
»Das ist … unheimlich. Unnatürlich.«
»Du wolltest es wissen«, antwortete Andrej.
»Vielleicht will ich es nicht glauben«, gestand Abu Dun.
»Obwohl es wohl wahr sein muss. Allahs Wege sind wahrlich rät-selhaft. Leider hilft uns das im Moment nicht weiter.«
»Vielleicht kann ich euch weiterhelfen.« Vlad trat gebückt durch die niedrige Tür und kam näher. Er sah sehr müde aus. Anscheinend hatte er die ganze Nacht kein Auge zugetan. Andrej fragte sich voller Unbehagen, wie lange er schon dort stand und wie viel er gehört hatte.
»Ich kann nicht lange bleiben«, fuhr Vlad fort, während er näher kam.
»Aber ich habe etwas über den jungen in Erfahrung gebracht.«
»Frederic? Lebt er?« Bei dem Wort Leben hob Vlad kurz die linke Augenbraue, aber er sagte nichts, sondern kam näher und setzte einen Becher mit brackig schmeckendem Wasser an Andrejs Lippen. Er wartete, bis er ihn mit gierigen, tiefen Zügen zur Hälfte ge-leert hatte, dann nahm er ihn fort und ging zu Abu Dun, um auch dessen schlimmsten Durst zu stillen. Erst dann beantwortete er Andrej s Frage.
»Er ist bei Tepesch«, sagte er.
»Ich habe gehört, das er ihn nach Petershausen bringen lässt und von dort aus vielleicht zur Burg Waichs. Die Türken sind im Anmarsch. Wir werden Rettenbach noch heute verlassen und uns ebenfalls nach Petershausen
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