Der Vampyr
die Hand auf den Unterarm und drückte ihn zurück.
»Das ist Vlad.«
»Wieso bist du da so sicher?«
»Weil er allein kommt«, antwortete Andrej.
»Außerdem spüre ich es.« Die Schritte näherten sich der Treppe und wurden langsamer. Dann kam der Mann herunter. Er über-sprang die untere, zerbrochene Stufe, was bedeutete, das er nicht zum ersten Mal hier unten war, und kam geduckt und mit schnellen Schritten näher.
»Ihr seid da«, begann Vlad.
»Gut. Ich war nicht sicher, das ihr es schafft.« Er ließ sich zwischen Andrej und Abu Dun in die Hocke sinken und legte die Unterarme auf die Knie.
»Was ist mit deinem Gesicht passiert?«, fragte Abu Dun.
»War ich das?«.Der Roma hob die linke Hand und tastete mit spitzen Fingern über seine linke Wange. Sie war unförmig angeschwol-len, seine Lippen aufgeplatzt und blutig verschorft. Sein linkes Auge würde spätestens morgen früh komplett zugeschwollen sein. Trotzdem lachte er.
»So hart schlägst du nicht zu, Mohr«, sagte er.
»Das ist die Belohnung meines Herrn, das ihr mir entkommen seid.«
»Da fragt man sich doch, warum du noch lebst«, sagte Abu Dun langsam.
»Dracul war guter Dinge«, antwortete Vlad.
»Er hat eine Schlacht gewonnen. Außerdem gibt es eine Menge Gefangener, um die er sich kümmern muss. Und ihr seid auch nicht mehr wichtig für ihn.«
»Was meinst du damit?«
»Er hätte euch so oder so töten lassen«, antwortete Vlad.
»Er braucht dich nicht mehr, jetzt, wo er die beiden goldenen Ritter hat.« Er sah Andrej durchdringend an.
»Die beiden sind Vampyre wie du, habe ich Recht? Aber sie sind trotzdem anders als du. Ich weiß nicht wie, aber sie sind anders.
Böse.«
»Worauf willst du hinaus?«, fragte Andrej.
»Ihr seid hier nicht sicher«, sagte Vlad.
»Ich kann euch in die Burg bringen. Ihre Keller sind tief - und sie sind der letzte Ort, an dem Dracul nach euch suchen würde.« Andrej wollte antworten, aber Abu Dun kam ihm zuvor.
»Warum tust du das für uns, Vlad? Warum sollten wir dir trauen?«
»Ich brauche eure Hilfe«, antwortete Vlad.
»Ich verstecke euch. Ich sorge dafür, das ihr lebt, und ich helfe euch, den jungen zu befreien. Dafür müsst ihr Tepesch töten. Bevor er so wird wie du, Andrej.«
»So wie …?«
»Ein Vampyr«, sagte Vlad.
»Unsterblich und unverwundbar. Er ist schon jetzt ein Ungeheuer, vor dem das Land zittert. Was glaubst du, würde geschehen, wenn er sich in ein Wesen verwandelt, das nicht zu verletzen ist und das den Tod nicht mehr zu fürchten braucht?« Das war eine Vorstellung, die zu entsetzlich war, als das Andrej dem Gedanken auch nur gestattet hätte, Gestalt anzunehmen. Trotzdem schüttelte er überzeugt den Kopf.
»Das ist vollkommen unmöglich, Vlad«, sagte er.
»Wenn es das ist, was er will, dann lass ihn. Er würde nur den Tod dabei finden.«
»Die Alten sagen etwas anderes«, erwiderte Vlad.
»Ich kenne die Legenden. Ich weiß, was man über euch sagt. Es heißt, das ein Mensch zum Vampyr wird, wenn sich ihr Blut ver-mischt.«
»Ich sagte doch: Das ist vollkommen unmöglich beharrte Andrej.
Aber war es das wirklich? Er mußte daran denken, wie es gewesen war, als er Malthus getötet hatte. Die Transformation. Es war seine erste Transformation gewesen, ein Erlebnis, das so grauenhaft und erschreckend gewesen war, das er sich geschworen hatte, es nicht wieder zu erleben, auch wenn sich seine Lebensspanne damit auf die eines normalen, sterblichen Menschen reduzierte. Er hatte Malthus’ Blut getrunken, aber das war nur ein Symbol gewesen; Teil eines Rituals, das so alt war wie seine Rasse und dessen Ablauf er beherrschte, ohne es jemals zuvor kennen gelernt zu haben. Aber für einen Moment war Malthus … in ihm gewesen. Er hatte ihn ge-spürt, jenen körperlosen, brennenden Funken, den die Menschen Seele nannten, und für einen noch kürzeren Moment wäre es beinahe Malthus gewesen, der ihn übermannte. Er hatte die abgrundtiefe Bosheit seiner Seele gefühlt, die Kraft der zahllosen Leben, die er genommen hatte, und im allerletzten Moment etwas, dessen wahre Bedeutung er vielleicht erst jetzt wirklich begriff: Überraschung. Überraschung, Schrecken und einen Funken von Furcht, dem keine Zeit mehr blieb, zu einer Flamme zu werden. Was, dachte er, wenn er diesen Kampf verloren hätte? Hätte Malthus dann Gewalt über seine Seele erlangt? Wäre er zu Malthus geworden? Er wollte die Antwort auf diese Frage nicht wissen. Es spielte keine Rolle. Er würde nie wieder
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