Der Vater des Attentäters (German Edition)
Dem Angestellten sagte ich, ich wolle eine Waffe mieten und eine Zielscheibe kaufen. Er zeigte mir drei Regalbretter mit Revolvern und halbautomatischen Pistolen. Ich wählte eine 9-mm-Smith-&-Wesson und zeigte ihm, dass ich wusste, wie man sie entlud, eine Patrone auswarf und den Ladestreifen entfernte. Der Mann gab mir Ohrenschützer und eine Plastikbrille und führte mich nach hinten. Er trug die Pistole auf einem Tablett, zusammen mit dem Ladestreifen und einer Schachtel Munition. Das Ziel, eine einfache papierne Schießscheibe, hatte ich aufgerollt unter den Arm geklemmt. Auf dem Schießstand angekommen, stellte der Mann das Tablett auf ein schmales Regal und erklärte mir, ich solle die Waffe genau so, mit entferntem Ladestreifen, zurückbringen.
Es waren noch drei weitere Männer auf dem Stand, die Schießübungen machten. Durch die Ohrenschützer klangen ihre Schüsse gedämpft, waren aber alles andere als leise. Ich entrollte meine Zielscheibe, befestigte sie an der Leine und drückte einen Knopf, der die Scheibe den Stand hinuntergleiten ließ. Als Nächstes öffnete ich die Munitionsschachtel, fütterte elf kalte Messingpatronen in den Ladestreifen und spürte das leichte Klicken, mit dem sie ihre Position einnahmen. Mein Atem ging normal. Meine Hände zitterten nicht. Ich schob den Streifen in die Waffe und lud durch. Meine Brille war ziemlich zerkratzt, erfüllte aber ihren Zweck. Ich holte tief Luft, atmete aus, hob die Pistole und richtete sie auf die Zielscheibe.
Mein Onkel war einmal mit mir schießen gegangen, da war ich noch ein Junge gewesen. Ich erinnerte mich später an die Erregung, und wie die Pistole einem lebendigen Wesen gleich in meiner Hand gesprungen war. Diese Erinnerung hatte mich während meiner Collegezeit mehrmals auf einen Schießstand getrieben, gewöhnlich mit ein oder zwei Jungs aus dem Wohnheim. Doch mit dem Medizinstudium verblich der Zauber des Schießens allmählich. Während meiner praktischen Ausbildung sah ich in der Chirurgie, welchen Schaden so eine Kugel dem menschlichen Gewebe zufügen konnte, und als ich eines Nachts in der Notaufnahme einen von mehreren Schüssen getroffenen Mann mitversorgen musste und mir die ganze zerstörerische Kraft auf drastische Weise vor Augen geführt wurde, verlor das Schießen endgültig alles Romantische und Geheimnisvolle für mich. Seitdem waren dreißig Jahre vergangen, während derer ich keine Waffe mehr in der Hand gehalten hatte. Die Pistole war schwer, aber ausgewogen. Ich fühlte den hölzernen Griff, und es roch nach Kordit und Schießpulver. Ich stellte mir meinen Sohn vor, wie er auf einem Hügel auf Dosen schoss und auf dem Boden seines Motelzimmers den Lauf einer neu gekauften Pistole ölte. Ich dachte an das Foto von Daniel in Royce Hall, seinen wilden Blick, als sich der Secret-Service-Agent an seinen Arm mit der Waffe festklammerte.
Ich sah über den Lauf auf die papierne Zielscheibe, den Finger auf dem Abzug. Wo lag der Unterschied zum Schlagen eines Golfballs? Zum Joggen durch die Parks von Colorado? Ich versuchte mich von außen zu sehen, ein älterer Mann mit militärischem Haarschnitt, die Knie leicht gebeugt, der mit einer Pistole einen schmalen Schießstand hinunterzielte. Mein Sohn hatte gestanden, einen Mann mit einer ganz ähnlichen Pistole ermordet zu haben. Er war überall im ganzen Land auf Schießstände gegangen. Konnte ich erfahren, was er empfand, indem ich tat, was er getan hatte? Konnte ich so verstehen lernen, was nur er verstand?
Ich war Dr. Paul Allen, der Sohn von Rhoda und der Vater von Alex und Wally. Oder vielleicht doch nicht? War dieser Mann, der seine Waffe auf die papierne Zielscheibe richtete, wirklich derselbe, der Krankheiten diagnostizierte und behandelte? Etwas geschah mit mir. Ich hatte die Orientierung verloren. Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte. Mein Sohn würde hingerichtet werden. Warum spielte ich da noch Golf und gab Dinnerpartys? Warum ging ich joggen und trennte den Müll? Aber – was sonst konnte ich tun? Ich war es meiner Frau und meinen anderen Söhnen schuldig. Ich musste meinen Erstgeborenen loslassen. Die Schüsse um mich herum klangen wie ein Metronom, das die Sekunden meines Lebens herunterzählte.
Ich blickte mit zusammengekniffenen Augen auf das Ziel. Es war ein Mann, eine Frau oder ein Kind. Es war jeder, den ich je gehasst und je geliebt hatte. Ich legte die Pistole zurück auf das Tablett und nahm die Brille ab. Hier gab es keine Antworten, nur Lärm
Weitere Kostenlose Bücher