Der Vater des Attentäters (German Edition)
dahinter? Versuchte der Junge seinen Platz in der Geschichte der Gewalt zu finden? Sich auf eine Rangliste des Bösen zu setzen?
Und was hatte er gemeint, als er sagte, seine Eltern schienen nicht so an mir interessiert ? Glaubte er das wirklich? Dass er uns lästig war, ein Klotz am Bein? Wusste er nicht, wie sehr wir uns mit der Entscheidung gequält hatten, wo er leben sollte? Wie wir um sein Wohlergehen besorgt waren, wie wir uns regelmäßig über seine Stimmung und seine Entwicklung austauschten? Wusste er nicht, dass seine Mutter und ich mehrmals in der Woche jede Minute seiner Kindheit am Telefon besprochen hatten, jeden Vorfall zu Hause und in der Schule?
Ich meine, mein Dad hatte ja schon vorher keine bedeutende Rolle in meinem Leben gespielt. Und jetzt, ich weiß nicht, da kam ich mir halt vor wie so ein Austauschschüler, wissen Sie? Wenn Sie nach Frankreich gehen oder so, und die stecken Sie in eine französische Familie. So hat es sich angefühlt .
Ich versuchte mich selbst an diese Zeit zurückzuerinnern. Danny war fünfzehn, als er zu uns zog, und Fran und ich hatten alles dafür getan, dass er sich zu Hause fühlte. Die Zwillinge kamen in ein gemeinsames Kinderzimmer, damit Danny sein eigenes Reich hatte. Wir unternahmen zusätzliche Ausflüge und überlegten, was sonst wir tun konnten, um ihn in unseren Kreis aufzunehmen. Abends aßen wir zusammen und erzählten einander, was wir den Tag über getan und erlebt hatten. Wir erlaubten Danny, auf Wally und Alex aufzupassen. Wir gaben ihm Verantwortung, wir lobten ihn.
Und doch musste ich mir eingestehen, dass ich mich zwar an eine glückliche Zeit erinnerte, aber auch daran, dass ich außergewöhnlich viel mit meiner Arbeit beschäftigt war. Ich war gerade der Chef meiner Abteilung im Krankenhaus geworden und machte fast jeden Tag Überstunden. Es war also unmöglich, dass ich jeden Abend zusammen mit meiner Familie zu Hause gegessen hatte. Merkwürdig, wie sich die Vorstellung von den Allens als glücklicher, intakter Familie in meiner Erinnerung breitgemacht hatte. Um ehrlich zu sein, hatte ich Danny hauptsächlich an den Wochenenden gesehen. Fran war diejenige, die ihn versorgte, zur Schule brachte und wieder abholte. Sie hatte ein weit intensiveres Verhältnis zu Danny als ich. Das war nichts, was sie mir vorwarf, das war nicht Frans Art, aber in den Monaten nach Dannys Ankunft ermunterte sie mich mehrfach, mir mehr Zeit für meinen Sohn zu nehmen. In jenem Sommer hatte ich es auch getan und eine lukrative Vortragsreise abgesagt, um mit Danny in den Adirondack Mountains zelten zu gehen.
An einem Freitagnachmittag im Juni hatten wir den Range Rover mit Zelt, Schlafsäcken und Klappstühlen bepackt, und Danny und ich waren in die Wildnis gefahren. Mein Vater war sein Leben lang ein Camper gewesen und in den Jahren vor seinem Tod oft mit uns zelten gefahren. Die nächtliche Kühle im Zelt, der rauchige Geruch des Lagerfeuers, all das brachte mich ihm näher. Es war eine sehr wertvolle Erinnerung für mich, und ich hoffte, etwas Ähnliches in meinem eigenen Sohn auslösen zu können. Ich hatte die naive Vorstellung, dass ein paar tolle Erfahrungen meine großen Versäumnisse der letzten sieben Jahre aufzuwiegen vermochten.
Auf der Hinfahrt im Auto redete vor allem ich. Ich erzählte Danny von meinem Tag und den Patienten, die ich am Morgen noch gesehen hatte. Das brachte mich auf meine allgemeine Rolle als Arzt, und wie ich dazu gekommen war, mir bereits in Dannys Alter meinen zukünftigen Beruf auszusuchen. Ich sprach über die frühen Rückschläge, die ich erlitten hatte – während meiner Station in der Psychiatrie hatte ich schmerzhaft erkennen müssen, dass ich nicht dazu taugte, die Seelen anderer Menschen zu ergründen, danach hatte ich ein langes, nutzloses Jahr in der Frauenheilkunde verbringen müssen –, und wie ich durch die nachfolgende Glaubenskrise (in der ich Zweifel hatte, ob ich überhaupt noch Arzt werden wollte) am Ende in der Rheumatologie gelandet war.
Irgendwo in Albany ging mir endlich auf, dass ich mich nicht mit meinem Sohn unterhielt, sondern ihm eine Vorlesung über mich hielt. Als ginge es um ein Bewerbungsgespräch, und er wäre der Arbeitgeber. Als wären wir zufällig zusammengewürfelt worden und ich versuchte entschlossen, geradezu verzweifelt, alles dafür zu tun, dass er mich mochte.
Aber natürlich funktioniert eine Familie nicht so. Familienbande entstehen nicht durch die Vermittlung von Informationen,
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