Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Hawley
Vom Netzwerk:
auch wir eigentlich hinter Gitter gehörten. Das alles überraschte mich nicht. In Amerika glaubte man nun mal, ein Verbrechen habe mit dem ureigenen Wesen des Täters zu tun und nichts mit äußeren Umständen. So gesehen, konnte es keine Resozialisierung geben, nur eine Strafe, und zu dieser Strafe gehörte unausweichlich auch die Ächtung und Verurteilung der Familie des Täters.
    Wir stellten uns an Schlangen an, ließen erniedrigende Durchsuchungen über uns ergehen, nahmen Beleidigungen und vernichtende Blicke hin, um schließlich in eine enge Zelle mit zwei Handbreit Sicherheitsplexiglas zu gelangen, einen schmuddeligen Telefonhörer in die Hand zu nehmen und mit unserem Sohn sprechen zu können.
    Paradoxerweise tat Daniel das ADMAX gut. Er hatte fast sieben Kilo zugenommen und war nicht mehr so blass. Er sagte, er lese viel, hauptsächlich Klassiker, Tolstoi, Puschkin. Ein Mädchen in Austin habe ihn auf die Russen gebracht, er möge ihre Sichtweise und Gefühlsbetontheit. Darüber, wie es war, dreiundzwanzig Stunden des Tages in einer zwei Mal dreieinhalb Meter großen Zelle eingesperrt zu sein (nachdem er so lange ein so freies Leben geführt hatte), sagte er nichts, obwohl wir ihn immer wieder danach fragten. Er beklagte sich nie, weder über das schreckliche Essen noch die Verächtlichkeit, mit der er von den Wärtern behandelt wurde. Er klagte überhaupt nicht. Er sagte, er habe festgestellt, dass er die Einsamkeit möge. Das sei es ja auch, was ihn dazu gebracht habe, nirgends Wurzeln zu schlagen.
    Die Unverbindlichkeit des Reisens hatte meinem Sohn die nötige Distanz von der Welt verschafft, wusste er doch, dass er nie lange an einem Ort bleiben und so niemandem wirklich nahe kommen würde. Er sagte, er habe die endlosen Stunden allein in seinem gelben Honda genossen, und genauso habe es ihm gefallen, durch Städte zu streifen, die er nicht kannte und die voll von Menschen waren, die er nie kennenlernen würde. Er betrachte das menschliche Bedürfnis nach Gesellschaft als eine Schwäche, gestand er uns in einem Moment seltener Offenheit, wechselte dann aber gleich das Thema, als wir noch mehr dazu wissen wollten.
    Während der Woche waren wir eine ganz normale Kleinfamilie, organisierten die Freizeitaktivitäten der Jungs und planten Dinnerpartys. Wir redeten darüber, die Fliegengitter an den Türen zu erneuern und dass die Heizungs- und Klimaanlage gewartet werden müsse. Abends sahen wir fern und versuchten, mit dem Lesen nicht ins Hintertreffen zu geraten. Wir trennten Recycelbares vom Restmüll und füllten das abgemähte Gras in biologisch abbaubare Papiersäcke. Jeden Donnerstag zog ich die Tonnen unten an die Einfahrt und stellte Energy-Drinks für die Müllmänner dazu. Ich war zu einem Freund der Arbeiter geworden, schwatzte im Baumarkt mit den muskulösen Packern über die angebotenen Werkzeuge und fachsimpelte mit den Automechanikern in der Werkstatt über die letzten Sportereignisse. Das war meine Tarnung. Während der Woche wurden die Allens in ihrer Normalität unsichtbar. Nur an jenen besonderen Wochenenden trat unsere wahre Identität zutage.
    Wir besuchten Daniel zweimal im Monat, brachen samstags in aller Frühe auf und waren nach fünf Stunden wieder da. Länger dauerten die Ausflüge nicht. Unterwegs tranken wir jedesmal im selben Starbucks einen Kaffee, tankten an derselben Shell-Tankstelle, um die Toilette benutzen zu können, und sorgten dafür, dass wir rechtzeitig zum Fußballtraining um zwei wieder zu Hause waren.
    Ich hielt mich bei unseren Besuchen an unverfängliche Themen – das neue Haus, und wie es den Jungs in der Schule ging. Danny schien erleichtert. Ein Besuch war auf zwanzig Minuten befristet, was kein tiefergehendes Gespräch erlaubte. Danny erzählte den Zwillingen jedesmal einen Witz aus einem Buch, das er in der Gefängnisbibliothek gefunden hatte. Die Witze, meist waren es verfängliche Geschichten von Farmern und ihren Töchtern, ließen mich eher aufstöhnen als lachen, aber die Jungs liebten sie und zerlegten sie hinterher im Auto auf der Fahrt nach Hause.
    Ich beobachtete meine Familie bei diesen geheimen Ausflügen, fragte mich: Ist das jetzt wirklich unser Leben?, und staunte über die Fähigkeit des Menschen, jedwede Situation, so unnatürlich sie auch sein mochte, mit der Zeit als normal zu betrachten.
    Was Alex und Wally betraf, machte ich mir dennoch Sorgen. Wie würde diese Erfahrung meine beiden Söhne beeinflussen? Ich suchte nach Hinweisen auf

Weitere Kostenlose Bücher